Marco Polo der Besessene 1
Volksstämmen an, sprachen jedoch alle die auf dem Provenzalischen beruhende Volkssprache, die sie sabir nannten -und so konnten wir uns verständigen.
»Hast du denn überhaupt keine Ahnung vom Segeln, Junge?« fragte einer der Seeleute mich. »Weißt du zum Beispiel, was an einem Schiff zum lebenden Werk gehört und was zum toten Werk?«
Ich überlegte, blickte zu den Segeln hinauf, die zu beiden Seiten über die Schiffswand hinausgingen wie die lebendigen Schwingen eines Vogels, und mutmaßte, dann müßte das wohl das lebende Werk sein.
»Falsch«, sagte der Seemann. »Das lebende Werk eines Schiffes ist derjenige Teil des Rumpfes, der unterhalb der Wasserlinie liegt, totes Werk hingegen alles über der Wasserlinie Befindliche.«
Darüber dachte ich nach und sagte dann: »Aber wenn das tote Werk mal untergeht, kann man es kaum noch ›lebend‹ nennen. Denn dann wären wir alle tot.«
Hastig sagte der Matrose: »Sag so was nicht!« und bekreuzigte
sich. Ein anderer sagte: »Wenn du Seemann werden willst, Junge, mußt du die siebzehn Namen aller siebzehn Winde lernen, die auf dem Mittelmeer wehen.« Damit sagte er sie auf und zählte sie an den Fingern her. »Gerade jetzt laufen wir vor der etesia, die aus dem Nordwesten kommt. Im Winter weht mächtig die ostralada aus dem Süden und ruft Stürme hervor. Gregalada nennt man den Wind, der aus Griechenland kommt und die See zum Kochen bringt. Aus dem Westen kommt der maisträl. Die levante kommt von Osten her, aus Armenien...«
Ein anderer Matrose fiel ihm ins Wort: »Wenn die levante weht, kann man die Zyklopen riechen.«
»Sind das Inseln?« fragte ich.
»Nein. Nur sonderbare Lebewesen, die in Armenien leben. Ein
jeder von diesen Zyklopen hat nur einen Arm und ein Bein. Es
braucht schon zwei von ihnen, wenn es gilt, einen Pfeil von
einem Bogen abzuschießen. Da sie nicht gehen können,
hüpfen sie auf einem Bein. Haben sie es aber eilig, drehen sie
sich seitlich und schlagen mit Hand und Fuß Rad. Deshalb
heißen sie auch Cyclopedes, die ›Radfüßer‹.«
Außer daß sie mir noch von vielen anderen Wundern erzählten,
brachten die Seeleute mir auch das ventunna genannte
Ratespiel bei, das die Seeleute erfunden haben, um auf
langweiligen Seereisen die Zeit totzuschlagen. Sie müssen
viele solche Reisen erleiden, denn die ventunna ist ein überaus
langes und langweiliges Spiel, in dessen Verlauf kein Spieler
mehr als ein paar soldi verlieren kann.
Als ich später meinen Onkel fragte, ob er auf seinen Reisen
jemals Merkwürdigkeiten wie den radfüßigen Armeniern
begegnet sei, lachte er und schnob verächtlich durch die Nase.
»Pah! Kein Matrose wagt es je, weiter in einen ausländischen
Hafen einzudringen als bis zur nächstgelegenen Hafenkneipe
oder bis zum nächsten Hurenhaus. Deshalb muß er sich, wenn
er gefragt wird, was er in der Fremde alles gesehen hat, so
manches aus den Fingern saugen. Nur ein Marcolfo, der einer
Frau Glauben schenkt, würde auch einem Seemann Glauben
schenken.«
Folglich lauschte ich von nun an immer nur nachsichtig und mit
halbem Ohr, sobald die Matrosen von irgendwelchen Wundern
an Land erzählten. Ganz Ohr war ich aber immer noch, wenn
sie von Dingen sprachen, die mit Meer und Seefahrt zu tun
hatten. Ich lernte ihre besonderen Bezeichnungen für ganz
gewöhnliche Dinge kennen -so wird zum Beispiel der kleine
schwarzbraune Vogel, der in Venedig Sturmvogel heißt,
petrelo, ›Kleiner Pietro oder Peten‹ genannt, weil er
anscheinend wie Petrus übers Wasser gehen kann -und
erlernte die gereimten Verse, welche die Seeleute benutzen,
wenn sie vom Wetter reden -Sera rosa e bianco matino: Alegro
il pelegrino -was soviel bedeutet wie, daß ein rotglühender
Abendhimmel oder ein weißer Morgenhimmel gutes Wetter
verheißt, was den Pilger erfreut. Außerdem lernte ich die
scandägio-Leine auswerfen, die in bestimmten Abständen von
roten und weißen Bändern umwunden ist und mit der man die
Wassertiefe unterm Kiel mißt. Und lernte auch noch, mich mit
anderen, vorüberfahrenden Schiffen verständigen; das wurde
mir zwei-, dreimal erlaubt, denn im Mittelmeer verkehren viele
Schiffe; jedenfalls rief ich dann auf sabir durch einen
Schalltrichter:
»Gute Reise. Welches Schiff?«
Woraufhin hohl die Antwort ertönte: »Gute Reise. Die Saint
Sangaus Brüssel, auf der Heimreise von Famagusta. Und Ihr,
welches Schiff seid Ihr?«
»Die Anafesto aus Venedig auf dem Weg
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