Marco Polo der Besessene 1
nicht. Jeder hochgestellte Prälat kann sie uns zur Verfügung stellen.«
»Und an welchen Prälaten wenden wir uns?« wollte Mafio wissen. »Wenn wir den Patriarchen von Venedig darum bäten, würde er uns -und zwar zu Recht -antworten, dass dann sämtliche Kirchen in der Stadt verwaist wären.«
»Außerdem müßten wir sie auch noch über eine zusätzliche Strecke transportieren«, sann mein Vater. »Besser, wir suchen sie uns näher am Ziel.«
»Verzeiht meine Unwissenheit«, mischte meine neue maregna, Fiordelisa, sich ein. »Doch wozu um alles in der Welt braucht ihr Priester -und noch dazu so viele Priester -für einen barbarischen mongolischen Kriegsherrn? Er wird doch nicht gar Christ sein, oder?«
Mein Vater sagte: »Er hängt keiner erkennbaren Religion an, Lisa.«
»Das hatte ich mir doch gedacht.« »Gleichwohl besitzt er eine Tugend, wie sie besonders den Gottlosen zu eigen ist: Er ist, was den Glauben anderer Leute betrifft, höchst nachsichtig. Ja, er wünscht sogar, dass seine Untertanen sich ihren Glauben aus einem möglichst großen Vorrat aussuchen können. In seinem Reich gibt es viele Prediger vieler heidnischer Religionen; dem christlichen Glauben hängen dort jedoch nur die irregeführten und verruchten nestorianischen Priester an. Laut Kubilai sollen wir dafür sorgen, dass wir für eine angemessene Vertretung der Einen Wahren Christlichen Kirche sorgen, deren Oberhaupt der Papst in Rom ist. Selbstverständlich haben Mafio und ich mit Freuden alles darangesetzt, ihm diesen Wunsch zu erfüllen und das nicht nur um der Verbreitung des heiligen Glaubens willen. Gelingt es uns, diese Mission zu erfüllen, können wir den Khan um Erlaubnis bitten, uns einträglicheren Missionen zuzuwenden.«
»Was Nico sagen will, ist folgendes«, erklärte mein Onkel. »Wir hoffen, den Handel zwischen Venedig und den Ländern im Osten in Gang zu bringen, das heißt, den Fluß von Handelsgütern auf der Seidenstraße wieder zu beleben.«
Woraufhin Lisa erstaunt sagte: »Es gibt eine Straße, die ganz
mit Seide gefüttert ist« »Ich wünschte, es wäre so!« sagte mein Vater mit rollenden Augen. »Leider ist sie gewundener und beschwerlicher und eine größere Strafe als jeder Weg in den Himmel. Allein, sie eine Straße zu nennen, ist eigentlich ungebührlich.« Isidoro bat um Erlaubnis, es der Dame zu erklären: »Die Route von den Küsten der Levante durch Innerasien heißt von alters her Seidenstraße, weil die Seide aus Kathay das kostbarste war, das darauf transportiert wurde. Früher wurde Seide in Gold aufgewogen. Und vielleicht wurde die Straße damals auch besser instand gehalten als heute und war daher auch leichter zu bereisen - denn schließlich war sie überaus wichtig. In jüngerer Zeit kam sie ziemlich außer Gebrauch, zum Teil wohl, weil man Kathay das Geheimnis der Seidenherstellung entrissen hat; heute wird ja sogar auf Sizilien Seide hergestellt. Zum anderen aber auch deshalb, weil es unmöglich wurde, die Länder im Osten zu durchqueren; das lag an den Verheerungen, die die Hunnen, Tataren und Mongolen mit ihren Raubzügen kreuz und quer durch Asien angerichtet haben. Infolgedessen haben die Handelsherren aus dem Westen die Überlandroute zugunsten der Seewege aufgegeben, welche die arabischen Seefahrer ja immer gekannt haben.«
»Wenn ihr per Schiff dorthin kommen könnt«, sagte Lisa zu meinem Vater, »warum sich dann den Gefahren und Strapazen einer Reise über Land aussetzen?«
Der sagte: »Diese Seewege sind unseren Schiffen verboten. Die einst friedfertigen Araber, die sich lange damit begnügt haben, bescheiden im Frieden ihres Propheten zu leben, sind aufgestanden und zu kriegerischen Sarazenen geworden, die jetzt versuchen, der ganzen Welt ihre islamische Religion aufzuzwingen. So wachen sie eifersüchtig nicht nur über das Heilige Land, das augenblicklich in ihren Herrschaftsbereich fällt, sondern auch über ihre Seewege.«
Mafio sagte: »Die Sarazenen sind bereit, mit uns Venezianern und überhaupt mit allen Christen jeden Handel zu treiben, der ihnen irgendwelchen Gewinn verspricht. Aber um gerade diesen Profit würden wir sie bringen, wenn wir Flotten unserer eigenen Schiffe in den Fernen Osten schickten. Deshalb sind
die sarazenischen Korsaren ständig dabei, die
dazwischenliegenden Meere zu bewachen -einfach, um
sicherzugehen, dass wir das nicht tun.«
Lisa machte ein geziert-entrüstetes Gesicht und meinte: »Dann
sind sie also unsere Feinde, und trotzdem
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