Marco Polo der Besessene 1
eine Armenierin: eine jede ihrer Brüste ist genauso groß wie ihr Kopf. Bei dem Mann an ihrer Seite würde ich meinen, er ist Perser. Was die Juden und die Araber betrifft, so kann ich die nie auseinanderhalten -höchstens nach ihrer Kleidung. Der dort drüben trägt auf dem Kopf einen weißen Turban, wie ihn nach islamischem Gesetz weder Juden noch Christen tragen dürfen; folglich muß er ein Muslim sein...«
Er wurde in seinen Mutmaßungen unterbrochen, weil wir ums Haar von einem Streitroß umgerannt worden wären, das ungestüm und rücksichtslos durch die von Menschen wimmelnden Straßen geritten wurde. Das Kreuz aus den vier Schwalbenschwänzen auf seinem Mantel ließ den Reiter als einen Ritter des Ordens der Johanniter, Hospitaliter oder Rhodiser erkennen, wie sie auch genannt wurden. Mit viel Ketten-und Panzergeklirr und unter dem Geräusch knirschenden Leders ritt er an uns vorüber, ohne sich freilich für sein ungeschliffenes Auftreten zu entschuldigen oder uns, die
wir immerhin Glaubensbrüder von ihm waren, durch ein
Kopfnicken zur Kenntnis zu nehmen.
Wir gelangten in jenes Viertel, das für die Häuser der
Venezianer vorgesehen war, und die Träger geleiteten uns zu
einer von mehreren Herbergen dort. Der Wirt begrüßte uns an
der Tür; er und mein Vater tauschten unter tiefen
Verbeugungen eine Menge blumiger Begrüßungsworte. Obwohl
es sich bei dem Wirt um einen Araber handelte, sprach er
venezianisch: »Der Friede sei mit Euch, meine Herren.«
Und mein Vater erwiderte: »Und mit Euch -Frieden.«
»Möge Allah Euch Stärke verleihen.«
»Stark sind wir geworden.«
»Gesegnet sei der Tag, der Euch an meine Tür bringt, meine
Herren. Aber Allah hat Euch klug wählen lassen. In meinem
khane gibt es saubere Betten, ein hamman zu Eurer
Erfrischung und das beste Essen in ganz Acko. Gerade in
diesem Augenblick wird das Lamm, das es zum Abendessen
geben soll, mit Pistazienkernen gefüllt. Es ist mir eine Ehre,
Euch zu bedienen, und mein geringer Name lautet Ishaq möget Ihr ihn nicht mit allzu viel Verachtung nennen'«
Wir stellten uns vor -und wurden fürderhin vom Wirt und der
Dienerschaft mit Scheich Folo angeredet; denn die Araber
kennen kein P in ihrer Sprache und haben Schwierigkeiten mit
diesem Laut, wenn sie in einer anderen reden. Während wir
Polo unsere Habseligkeiten in unserem Zimmer verteilten,
fragte ich meinen Vater und meinen Onkel: »Warum erweist ein
Sarazene uns, seinen Feinden, seine Gastfreundschaft?«
Mein Onkel sagte: »Nicht alle Araber sind in dieser jihad
begriffen, wie sie den heiligen Krieg gegen die Christenheit
nennen. Die hier in Acre profitieren zuviel davon, um Partei zu
nehmen -nicht einmal die ihrer muslimischen
Glaubensbrüder.«
»Es gibt gute Araber und böse«, sagte mein Vater. »Diejenigen,
die im Augenblick damit beschäftigt sind, sämtliche Christen
aus dem Heiligen Land -und dem gesamten Östlichen
Mittelmeerraum -zu vertreiben, sind eigentlich nur die
ägyptischen Mamelucken, und das sind in der Tat böse
Araber.«
Nachdem wir alles für unseren Aufenthalt in Acre Notwendige
ausgepackt hatten, begaben wir uns in den hamman der
Herberge. Der hamman gehört meiner Meinung nach in einem Atemzug mit jenen anderen großen arabischen Errungenschaften genannt: der Arithmetik nebst zugehörigen Zahlen und der perlenbesetzten Rechenmaschine. Im wesentlichen handelt es sich bei dem hamman um nichts weiter als um einen dampfgefüllten Raum; der Dampf entsteht dadurch, daß Wasser auf heiße Steine gegossen wird. Doch nachdem wir eine Weile auf den Bänken in diesem Raum gesessen und reichlich geschwitzt hatten, betraten ein Halbdutzend Diener ihn und sagten: »Den Herren Gesundheit und Behagen durch dieses Bad!« und wiesen uns an, uns bäuchlings auf einer Bank auszustrecken. Dann beschäftigten sich je zwei von ihnen mit einem von uns und bearbeiteten uns mit ihren in hänfenen Handschuhen steckenden Händen und rubbelten und rieben uns sehr ausgiebig. Dabei wurde der gesamte Schmutz und das Salz unserer Reise in grauen Streifen von der Haut geschabt. Für unsere Begriffe hätte das, was die Sauberkeit betrifft, gereicht; sie jedoch fuhren fort zu reiben, und so trat in Form dünner grauer Würmer weiterer Schmutz aus den Poren.
Als kein Grau sich mehr zeigte und wir durch den Dampf und das Reiben ganz rot geworden waren, erboten die Männer sich, uns von unserer Körperbehaarung zu befreien.
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