Marco Polo der Besessene 1
begnügen kann, sondern als Gegengabe ein Geschenk überreichen muß, das im Wert mindestens soviel wiegt wie das empfangene. Ich sollte später wieder und immer wieder Zeuge dieses Austauschs von Dingen werden und so manch einen Geber mit etwas davonziehen sehen, das unvergleichlich viel kostbarer war als das, was er zuvor gegeben hatte.
An diesem bestimmten Abend war ich von diesem Brauch jedoch mehr belustigt als beeindruckt; denn Ostikan Hampig mit seiner kleinlichen Schreiberseele paßte sich dieser Gepflogenheit nur insoweit an, als er jedem neuen Schenker jeweils nur ein einziges Teil von dem Stapel von Geschenken zurückgab, die ihm zuvor überreicht worden waren. Das ganze war nichts weiter als ein rasches Hin- und Hergeschiebe von Gaben, so daß eigentlich jeder Gast mit demselben Geschenk hätte heimziehen können, das er hergebracht hatte -nur daß eben jeder mit dem Geschenk von jemand anders heimkehrte.
Nur einmal wich Hampig von dieser Übung ab -als wir an der Reihe waren aufzustehen und vor das Podest hinzutreten. Wie mein Onkel vorausgesehen hatte, war der Ostikan dermaßen erfreut darüber, unseren zafrän-Ziegel zu erhalten, daß er seinen Sohn Kagig aufforderte, aufzuspringen und etwas Außergewöhnliches zu holen, das wir als unser Geschenk erhalten sollten. Kagig kam mit drei Dingen zurück, die recht unscheinbar aussahen -genauso wie auf den ersten Blick ein Ziegel zafrän. Es sah so aus, als handelte es sich um nichts weiter denn drei kleine Lederbeutel. Als Kagig sie jedoch ehrfürchtig meinem Vater überreichte, sahen wir, daß es sich um die Hodensäcke von Moschushirschen handelte, die prall mit den krümeligen Körnern eben jenes Moschus gefüllt waren, welchen man eben den genannten Moschushirschen oder deren entnimmt. Die drei Hodensäcke oder Lederbeutel waren mit langen Lederriemen versehen, und zwar aus ganz bestimmten Gründen, wie Hampig uns erklärte:
»Wenn Ihr den Wert dieser Beutel kennt, messieurs, werdet Ihr sie Euch hinter die eigenen Hoden binden und sie auf Eurer Reise aus Sicherheitsgründen dort versteckt mit Euch herumtragen.«
Mein Vater bedankte sich aufrichtig für das Gegengeschenk, und mein Onkel ließ in seiner Trunkenheit eine abscheulich übertriebene Dankestirade vom Stapel, die endlos so hätte weitergehen können, wäre er nicht plötzlich von einem unbezwinglichen Hustenreiz befallen worden. Ich selbst erkannte nicht, wie unvergleichlich kostbar dieses Geschenk war und wie untypisch für den Ostikan Hampig mit der Schreiberseele; das ging mir erst später auf, als mein Vater mir erklärte, daß die drei Beutel Moschus ohne weiteres soviel wert wären wie das, was wir an dem nämlichen Tag auf dem Bazar ausgegeben hatten.
Nachdem wir unsere letzten Verbeugungen vor dem Ostikan hinter uns gebracht hatten und uns wieder zurückzogen, kam sein Sohn hinter uns hergeschlurft und gesellte sich zu der Runde um unser Speisetuch. Dieses war selbstverständlich ziemlich weit von dem Ehrenpodest entfernt, weit hinten unter einer Reihe barbarisch aussehender weniger wichtiger Gäste, die vielleicht arme Verwandte vom Lande sein mochten. Kagig, der mittlerweile genauso betrunken war wie alle anderen im Speisesaal, sagte uns, er wolle eine Weile bei uns Platz nehmen, weil seine Braut uns mehr ähnelte als ihm oder irgendeinem Angehörigen seines Volkes. Als Tscherkessin sei Seossere von heller Hautfarbe, sagte er, und habe kastanienrotes Haar und Gesichtszüge von unvergleichlicher Schönheit. Weitschweifig erging er sich darüber, wie überaus schön sie sei: »Schöner als der Mond!« und über ihre Sanftheit: »Sanfter als der Westwind!« und ihren Liebreiz: »Süßer als Rosenduft!« und über ihre verschiedenen anderen Vorzüge:
»Sie ist vierzehn Jahre alt, was vielleicht ein wenig überreif sein mag für eine Heirat, aber sie ist noch Jungfrau und genausowenig durchbohrt wie eine unaufgefädelte Perle. Sie ist gebildet und kann sich über eine ganze Reihe von Themen unterhalten, von denen nicht einmal ich etwas weiß. Philosophie und Logik, die Lehrsätze des großen Arztes ibn Sina, die Gedichte von Majnun und Laila, über Gebiete der Mathematik, die Geometrie und aljebr heißen...«
Ich meine, wir Zuhörer hatten zu Recht unsere Zweifel, daß die pshi Seosseres wirklich so wunderschön sein sollte. Denn wenn das so war -warum sollte sie dann bereit sein, einen ungehobelten Armenier mit wulstigen violetten Lippen und ohne Hinterkopf zu heiraten, der auf
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