Marco Polo der Besessene 2
Wäre das klug? Auch sie starb durch Eure Machenschaften. Das weiß der gesamte Hof und damit jeder Richter im cheng.«
»Ihr wißt, daß das nicht stimmt, verdammt noch mal! Sie hat heute abend mit mir gesprochen und mir alles enthüllt. Sie wartet im Moment oben auf dem kara-Hügel auf mich.«
»Auf dem kara-Hügel ist niemand.«
»Diesmal irrt Ihr Euch«, sagte ich. »Buyantu ist da.« Möglich, daß ich ihn sogar selbstgefällig angelächelt habe.
»Es ist niemand auf dem kara-Hügel. Lauft hin und seht nach. Es stimmt, daß ich früher am Abend eine Dienerin hinaufgeschickt habe. Ihr Name ist mir entfallen, ja, und jetzt weiß ich nicht einmal mehr, warum ich sie hingeschickt habe. Doch als sie nach einiger Zeit nicht zurückkam, bin ich hingegangen und
habe nach ihr gesucht. Sehr rücksichtsvoll von mir, das persönlich getan zu haben, aber Allah gebietet uns, Rücksicht auf unsere Untergebenen zu nehmen. Hätte ich sie gefunden, wäre es möglich, daß sie es war, die mir gesagt hat, Ihr wäret hingelaufen, den Liebkoser zu besuchen. Leider muß ich berichten, daß ich sie dort nicht fand. Und Ihr werdet sie auch nicht finden. Geht hin und überzeugt Euch.«
»Mörderischer Unhold, Ihr! Habt Ihr Euch die Hände noch einmal mit dem Blut einer…«
»Hätte ich sie gefunden«, fuhr er unbeeindruckt fort, »wäre es möglich, daß sie mir gesagt hat, genau an dieser Rücksicht hättet Ihres ihr gegenüber fehlen lassen. Doch Allah gebietet uns, rücksichtsvoller zu sein als ihr herzlosen Christen. Deshalb…«
»Dio me varda!«
Er ließ seinen spöttischen Tonfall fahren und herrschte mich an: »Ich werde dieses Klingenkreuzens müde. Nur eines laßt mich Euch noch sagen: Selbstverständlich sehe ich voraus, daß sich manche Augenbraue in die Höhe schiebt, wenn Ihr, Polo, anfangt, öffentlich zu behaupten, Ihr hättet entkörperlichte Stimmen im Echopavillon gehört, zumal, wenn Ihr auch noch darauf besteht, die Stimme von jemand gehört zu haben, der längst tot ist, die Stimme eines Menschen, der bei einem mißglückten Abenteuer umkam, dessen Ursache Ihr wart. Die mildtätigste Deutung Eures Gefasels wird sein, daß Ihr unglücklicherweise aufgrund des Kummers und der Schuldgefühle, die Euch dieser-halb befallen haben, den Verstand verloren habt. Und alles, was Ihr sonst noch von Euch gebt -wie zum Beispiel die Anschuldigungen gegen einen bedeutenden und hochangesehenen Höfling - würden ähnlich eingeschätzt werden.«
Mir blieb nichts anderes übrig, als dazustehen und ihn ohnmächtig anzufunkeln.
»Und bedenkt«, fuhr er fort, »Euer bedauernswertes Leiden könnte der Öffentlichkeit auch zum Vorteil gereichen. Im
zivilisierten Islam haben wir Häuser der Täuschung genannte Einrichtungen, um jene sicher zu verwahren, die vom Dämon des Wahns heimgesucht werden. Ich habe Kubilai schon lange gedrängt, diese Einrichtung auch hierzulande einzuführen, doch behauptet er hartnäckig, gesündere Regionen würden von derlei Dämonen nicht heimgesucht. Euer offensichtlich mitgenommener Geisteszustand und unbotmäßiges Verhalten könnten ihn vom Gegenteil überzeugen. In welchem Falle ich das erste Haus der Täuschung für Kithai in Auftrag geben würde -Ihr dürft raten, wer denn der erste Insasse sein soll.«
»Ihr… Ihr…!« Ich war versucht, über das fliederfarbene Bett hinüberzuspringen, doch er hatte die Hand nach dem Gong daneben ausgestreckt.
»Nun, ich habe Euch gesagt, Ihr solltet hingehen und Euch mit eigenen Augen davon überzeugen, daß auf dem kara-Hügel niemand ist -zumindest niemand, der Eure Wahnvorstellungen bestätigen könnte. Ich schlage vor, Ihr geht. Dorthin oder anderswohin. Aber geht!«
Was blieb mir anderes übrig, als zu gehen? Verzagt und mit Kummer im Herzen ging ich davon und stapfte hoffnungslos noch einmal den kara-Hügel zum Echopavillon hinauf, wiewohl ich genau wußte, daß es so sein würde, wie der Araber gesagt hatte: Ich würde niemand dort vorfinden. Nichts verriet, daß Buyantu jemals hier gewesen oder irgend etwas anderes als seit langer Zeit tot war.
Schleppenden Schrittes kam ich abermals den Hügel herunter, im Herzen noch verzagter und noch bekümmerter als zuvor »mit den Sackpfeifen nach innen gekrempelt«, wie die Venezianer sagen und wie mein Vater es ausdrücken würde.
Der bittere Gedanke an meinen Vater brachte mich darauf, ihn aufzusuchen, und da ich sonst kein Ziel hatte, begab ich mich in seine Gemächer, um ihm nach meiner Rückkehr
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