Marco Polo der Besessene 2
einen Besuch abzustatten. Vielleicht hatte er einen weisen Rat für mich. Doch eine seiner Dienerinnen machte auf mein Kratzen an der Tür auf und sagte mir, ihr Herr Polo weile außerhalb der Stadt -ob immer noch oder schon wieder, fragte ich nicht. So schleppte ich mich Trübsal blasend den Korridor weiter hinunter bis zu Onkel Mafìos Wohnung. Dessen Dienerin hinwiederum sagte mir, jawohl, ihr Herr Polo sei zwar da, verbringe jedoch seine Nächte nicht immer in seinen Gemächern; um seine Dienerschaft nicht unnötig zu stören, komme und gehe er durch den Hintereingang, den er in die Rückwand seiner Gemächer habe brechen lassen.
»Deshalb weiß ich abends oder nachts nie, ob er in seiner Schlafkammer ist oder nicht«, sagte sie mit leicht traurigem Lächeln. »Und ich möchte mich auch nicht aufdrängen.«
Mir fiel ein, daß Onkel Mafio einst behauptet hatte, dieser Dienerin »Lust bereitet« zu haben. Vielleicht war das nur ein kurzer Ausflug in den Bereich der normalen Sexualität gewesen, den er jetzt überflüssig und unbefriedigend fand und sie deshalb ein so trauriges Gesicht machte, warum sie sich ihm auch nicht »aufdrängen« wollte.
»Ihr allerdings gehört zur Familie und seid kein Eindringling«, sagte sie und verneigte sich in der Tür vor mir. »Vielleicht geht Ihr und seht selbst nach.«
Ich ging durch die Wohngemächer bis zu seiner Schlafkammer; dort war es dunkel und das Bett unbenutzt. Er war nicht da. Mit offenen Armen aufgenommen wurde ich nach der langen Abwesenheit hier nicht gerade, dachte ich mit verzogenem Gesicht. Im Lampenlicht, das vom Hauptraum hereinschien, suchte ich nach einem Stück Papier, um ein paar Zeilen zu schreiben und Bescheid zu sagen, daß ich wieder in der Stadt sei. Während ich in der Schublade einer Kommode herumtastete, verfingen meine Fingernägel sich in merkwürdig dünnem, hauchzartem Gewebe. Erstaunt hielt ich es ins dämmerige Licht; was ich da in Händen hielt, war eigentlich nicht das, was ein Mann trug. Infolgedessen kehrte ich in den Hauptraum zurück und holte eine Lampe; dann hielt ich das Gewand noch einmal in die Höhe. Es handelte sich ganz zweifellos um Frauengewänder, freilich außerordentlich groß und weit geschnittene. Ich dachte: Du lieber Gott, vergnügt er sich neuerdings mit einer Riesin? War das der Grund für die Traurigkeit der Dienerin? Weil er sie zugunsten von etwas Groteskem und Abartigem abgelegt hatte? Nun, zumindest war es eine Frau…
Ich ließ die Gewänder sinken, um sie wieder zusammenzulegen, und da stand Onkel Mafìo, der offenbar just in diesem Augenblick zur Hintertür hereingekommen war, vor mir. Er sah erschrocken, peinlich berührt und wütend zugleich aus, doch das war es nicht, was mir als erstes auffiel. Was ich sofort sah, war, daß sein bartloses Gesicht über und über weiß gepudert war, selbst auf Augenbrauen und Lippen, und die Augenlider mit al-khol geschwärzt und seitlich verlängert; außerdem war ein kleiner Rosenknospenmund aufgemalt dort, wo sein breiter Mund sein sollte, und sein Haar mit Hilfe von schmalen Kämmen aufgewickelt, und er selbst in spinnwebfeine Gewebe gehüllt, in hauchdünne Schals und flatternde Bänder in der Flieder genannten Farbe.
»Gèsu…« entfuhr es mir, als der erste Schock und das erste Entsetzen der Erkenntnis wich -oder zumindest soviel Erkenntnis, wie ich brauchte, und das war mehr, als mir lieb war. Warum war mir das nicht schon längst klargeworden? Ich hatte doch weiß Gott genug Leute von Wali Achmads »ausgefallenen Neigungen« reden hören und hatte doch längst von meines Onkels krampfhaft-verzweifeltem Festhalten gewußt, das dem eines Mannes glich, dem bei auslaufender Tide ein Ankertau nach dem anderen riß. Erst heute abend hatte Buyantu ganz verdutzt dreingeschaut, als ich Achmads »große Frau« erwähnte, und dann hatte sie ausweichend sogar gesagt: »Wenn diese Person den Namen einer Frau hat…« Sie hatte Bescheid gewußt und mit weiblicher Durchtriebenheit sofort verstanden, dieses Wissen für sich zu behalten, um später damit handeln zu können. Der Araber hatte mir rundheraus gedroht: »Ich werde ein paar Bilder an die Öffentlichkeit geben…«
Mindestens da hätte mir doch einfallen müssen, welche Art von Bildern Meister Chao gezwungen worden war, insgeheim zu malen. »Der Name Polo wird dem allgemeinen Gespött preisgegeben werden.«
»Gèsu, Onkel Mafìo…« flüsterte ich voller Mitleid, Ekel und Enttäuschung. Er sagte nichts, besaß
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