Marco Polo der Besessene 2
aber immerhin den Anstand, zumindest ein betretenes und kein wütendes Gesicht zu machen, daß er jetzt entdeckt worden war. Langsam schüttelte ich den Kopf und überlegte manches, das ich sagen könnte, doch zuletzt sagte ich:
»Onkel, einst hast du mir einen überaus beredten Vortrag gehalten, wie man das Böse gewinnbringend nutzen könnte. Daß es nur der wirklich böse Mensch sei, der in dieser Welt triumphiert. Hast du dich an deine eigenen Worte gehalten, Onkel Mafìo? Ist dies« -ich wies mit einer Handbewegung auf seine schäbige Verkleidung, die verriet, wie tief er gesunken war
- »Ist dies der Triumph, den du dafür bekommen hast?« »Marco«, sagte er, sich mit belegter Stimme verteidigend. »Es gibt viele Arten von Liebe. Nicht alle sind hübsch. Aber keine Art von Liebe hat es verdient, verachtet zu werden.« »Liebe?« sagte ich und sprach es aus, als wäre es ein Schimpfwort. »Wollust, Geilheit… letzte Zuflucht… nenn es, wie du willst«, sagte er düster. »Achmad und ich, wir beide sind alte Männer. Und fühlen uns beide anders als andere Menschen… als Ausgestoßene… als außergewöhnlich…« »Abartig, würde ich es nennen. Und ich würde meinen, ihr wäret beide alt genug, die ungeheuerlicheren eurer Begierden zu
unterdrücken.« »Abzutreten und uns aufs Altenteil zu setzen, meinst du!«
ereiferte er sich, jetzt doch wieder wütend. »Untätig dazusitzen und zu verwesen, unseren Brei zu mummeln und unsere Gicht zu pflegen? Bildest du dir ein, bloß weil du jünger bist, du hättest ein Monopol auf Leidenschaft und Sehnsucht? Sehe ich aus wie ein hinfälliger Greis?«
»Unanständig siehst du aus!« schrie ich ihn meinerseits an. Angstvoll schlug er die Hände vor sein schreckliches Gesicht. »Der Araber trägt seine Abartigkeit zumindest nicht in Bändern und Schleiern zur Schau! Und wenn er es täte, brauchte ich nur zu lachen. Aber wenn du das tust, muß ich weinen.«
Ums Haar hätte er genau das getan -geweint. Zumindest schniefte er jetzt gottserbärmlich, sank auf eine Bank nieder und winselte: »Wenn du das Glück hast, ganze Festmähler der Liebe zu genießen, brauchst du dich noch lange nicht über diejenigen von uns lustig zu machen, denen nichts anderes übrigbleibt, als sich mit den Brosamen von deinem Tische zufriedenzugeben.«
»Schon wieder Liebe, ja?« sagte ich und brach in ein schneidendes Lachen aus. »Schau, Onkel, ich will gern zugeben, daß ich der letzte bin, der ein Recht darauf hätte, anderen Schlafkammermoral und Wohlanständigkeit zu predigen. Aber kannst du denn nicht mehr unterscheiden? Du weißt doch bestimmt, wie abgrundtief schlecht und böse dieser Achmad ist und zwar außerhalb der Schlafkammer?«
»Ach, ich weiß, ich weiß.« Er schlug die Hände zusammen wie eine Frau in tiefster Pein und gab irgendeinen weibischen Schluchzlaut von sich. Es war schrecklich anzusehen. Und es war schrecklich, ihn dumm daherreden zu hören wie eine Frau, die nicht mehr weiß, was sie da sagt. »Achmad mag nicht der beste aller Männer sein. Launisch. Jähzornig. Unberechenbar. In seinem ganzen Verhalten bestimmt nicht zu bewundern, weder privat noch in der Öffentlichkeit. Das habe ich einsehen müssen, ja.«
»Und nichts dagegen unternommen?«
»Kann die Frau eines Trunkenbolds machen, daß er aufhört zu trinken? Was sollte ich tun?«
»Du hättest Schluß machen können mit dem, was immer du getan hast.«.
»Was? Zu lieben? Kann die Frau eines Trunkenbolds aufhören, ihn zu lieben, bloß weil er ein Trunkenbold ist?«
»Sie kann sich weigern, sich ihm hinzugeben. Oder was immer ihr beiden -ach, laß nur! Bitte, versuch nicht, es mir zu sagen. Nicht mal vorstellen mag ich es mir.«
»Sei vernünftig, Marco!« wimmerte er. »Würdest du eine Geliebte aufgeben, bloß weil andere sie nicht liebenswert finden?«
»Per dio, ich hoffe, ich würde es tun, Onkel, wenn zu ihren wenig liebenswerten Zügen eine Neigung zu kaltblütigem Mord gehörte!«
Entweder, er hörte das gar nicht, oder aber er scheute davor zurück. »Von allen anderen Erwägungen mal abgesehen, Neffe -Achmad ist schließlich Oberminister und Finanzminister, und damit Vorsteher der Handelsvereinigung Ortaq; davon, was er erlaubt und was nicht, hängt der Erfolg der Händler hier in Kithai ab.«
»Hat er denn seine Erlaubnis nur gegeben, weil du vor ihm auf dem Bauch gekrochen bist wie ein Wurm? Weil du dich vor ihm erniedrigt hast? Mußtest du dich verkleiden und zurechtmachen wie die
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