Marco Polo der Besessene 2
das hängende Stück Fleisch einen Ton von sich. Gesehen haben kann es mich nicht, vielleicht aber hat sie durch die Öffnung dort, wo einst das Ohr gewesen war, undeutlich meine Stimme vernommen und sie möglicherweise sogar erkannt. Der Laut, den sie von sich gab, war nichts weiter als ein ganz leises Blubbern, das mir jedoch irgendwie schwach zu fragen schien: »Marco?«
Mit beherrschter und gleichbleibender Stimme -ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß mir das gelingen könnte -sagte ich zum Liebkoser geradezu im Plauderton:
»Meister Ping, Ihr habt mir einmal in liebevoller Ausführlichkeit den Tod der Tausend beschrieben, und es scheint mir dies hier zu sein. Dabei habt Ihr diesen anders genannt. Worin liegt der Unterschied?«
»Ach, der ist nur geringfügig. Man kann von Euch nicht erwarten, daß Ihr ihn bemerkt. Der Tod der Tausend besteht, wie Ihr wißt, darin, daß der oder die Behandelte nach und nach verkleinert wird - indem man hier ein wenig abschneidet und dort, sticht und bohrt und sondiert und so weiter -, ein ausgedehnter Prozeß, der durch Ruhepausen dazwischen in die Länge gezogen wird, in deren Verlauf dem Behandelten lebenserhaltende Nahrung und Flüssigkeit zugeführt wird. Der Tod über die Tausend hinaus ähnelt diesem sehr und unterscheidet sich nur dadurch, daß der oder dem Betreffenden nur diese Teile von sich selbst zu essen gegeben werden. Und zu trinken nur das -aber was tut ihr!«
Ich hatte meinen Dolch herausgerissen und ihn in die schimmernde rote Fleischmasse dessen hineingestoßen, was ich für die Überreste von Mar-Janahs Brust hielt - und auf den Griff jenen besonderen Druck ausgeübt, der gewährleistete, daß alle drei Klingen tief eindrangen. Ich konnte nur hoffen, daß dies Wesen vor mir mit größerer Gewißheit tot war als zuvor, schien es jedoch nur ein wenig schlaffer dazuhängen und keine Laute mehr von sich zu geben. In diesem Augenblick erinnerte ich mich, Mar-Janahs Mann einmal beteuert zu haben, ich könnte wissentlich nie eine Frau umbringen, woraufhin er beiläufig gesagt hatte: »Ihr seid noch jung.«
Meister Ping hatte es die Sprache verschlagen, zähneknirschend und mit zornblitzenden Augen sah er mich an. Ich jedoch streckte kalt die Hand aus und nahm ihm das Seidentuc h ab, an dem er sich die Hände abgewischt hatte. Damit säuberte ich meinen Dolch, warf es ihm rüde wieder zu, ließ die Klingen zuschnappen und steckte den Dolch wieder in die Scheide.
Haßerfüllt fauchte er mich an und sagte: »Ein Jammer um die raffinierten letzten Behandlungen, die alles vollendet hätten. Ich wollte Euch das Vorrecht einräumen, dabei zuzusehen. Welch ein Jammer!« Er wechselte den Gesichtsausdruck, und aus dem Haß wurde ein höhnisches Lächeln. »Gleichwohl, eine verständliche Reaktion, wie ic h sagen möchte, für einen Laien und Barbaren. Und schließlich hattet Ihr für sie bezahlt.«
»Ich habe mitnichten für sie bezahlt, Meister Ping«, sagte ich, schob ihn beiseite und ging hinaus.
2
Ich wollte möglichst schnell zu Buyantu zurück, denn ich fürchtete, sie könnte mittlerweile unruhig geworden sein; außerdem hätte ich etwas darum gegeben, es noch hinausschieben zu können, Ali Babar die traurige Nachricht beizubringen. Aber ich konnte ihn unmöglich händeringend im Zwischenreich des Nichtwissens lassen, und so begab ich mich in meine alte Wohnung, wo er wartete. Mit aufgesetzter Fröhlichkeit vollführte er eine weitausholende Geste und sagte:
»Alles wiederhergestellt, neu eingerichtet und bewohnbar gemacht. Nur, Euch neue Dienerinnen zu schicken, daran hat offenbar niemand gedacht. Deshalb werde ich heute nacht hierbleiben, falls Ihr irgendwelcher Dienste…« Er stockte. »Ach, Marco, du machst ein kummervolles Gesicht. Ist es, was ich befürchte, daß es ist…«
»Geklagt sei's, alter Gefährte. Sie ist tot.«
Tränen schossen ihm in die Augen und er wisperte: »Tanhu… ha-mishè… «
»Ich weiß nicht, wie ich es dir schonender beibringen soll. Es tut mir leid. Aber sie schmachtet nicht mehr in Gefangenschaft, sondern ist frei und frei auch von Schmerzen.« Sollte er zumindest vorläufig glauben, sie habe einen leichten Tod gehabt.
»Das Wie und Warum werde ich dir ein andermal erzählen, denn es war Mord, und ein völlig überflüssiger dazu. Geschehen ist es nur, um dir und mir Schmerz zuzufügen, und du und ich, wir werden sie rächen. Aber heute abend, Ali, stelle mir bitte keine Fragen -und bleib auch nicht hier.
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