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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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tippte sich dann auf die Brust. Ich begriff -ihr Name stand auf dem Papier -, und ich nickte. Sie zeigte auf eine weitere Stelle auf dem Papier -dieses Schriftzeichen erkannte ich, denn es war dasselbe, das auf meinem eigenen, persönlichen yin eingegraben war -und dann tippte sie schüchtern mir auf die Brust. Das Papier war der Besitztitel an der Sklavin Hui-sheng, und Khan Kubilai hatte diesen auf Marco Polo übertragen. Ich nickte nachdrücklich, und Hui-sheng lächelte, und dann lachte ich laut -der erste freudige Ton, den ich seit langem von mir gab -, und ich schloß sie in die Arme, weder von Leidenschaft erfüllt noch von Liebe, einfach nur froh. Und sie ließ es zu, daß ich ihre kleine Person an mich drückte, und drückte mich mit ihrem freien Arm sogar an sich, denn was wir feierten, war der erste Austausch von Gedanken, der zwischen uns stattfand.
    Ich nahm wieder Platz, setzte sie neben mich und hielt sie weiter so -was ihr vermutlich im höchsten Maße unbequem war und sie schreckte; und dennoch regte sich in ihr nicht die geringste Bewegung, die man als Klage hätte deuten können und so saßen wir die ganze Nacht hindurch, und sie kam uns überhaupt nicht lang vor.
    3
     
    Ich brannte auf den nächsten Gedankenaustausch mit Huisheng -oder vielmehr darauf, ihr ein Geschenk zu machen -, und das bedeutete, auf das Tageslicht zu warten, um zu sehen, was ich tat. Doch als das erste Licht des Tages sich an den durchschimmernden Fensterscheiben bemerkbar machte, war sie in meinen Armen fest eingeschlafen. Deshalb saß ich einfach still da und nahm die Gelegenheit wahr, sie eingehend, bewundernd und liebevoll zu betrachten.
    Ich wußte, daß Hui-sheng ein ganzes Stück jünger war als ich, doch um wie viele Jahre, sollte ich nie erfahren, denn sie selbst hatte keine Ahnung, wie alt genau sie war. Desgleichen konnte ich nicht erraten, ob es nun an ihrer Jugend lag oder daran, daß sie eine Min war -oder aber einfach an ihrer persönlichen Vollkommenheit -, aber ihre Gesichtszüge lockerten sich nicht im Schlaf und erschlafften nicht, wie ich es bei vielen anderen Frauen erlebt hatte. Wangen, Lippen, Kinnlinie -all dies blieb bei ihr fest und in schöner Harmonie. Ihre pfirsichfarbene Haut war, von nahem betrachtet, die reinste und glatteste, die ich je gesehen hatte, selbst auf Statuen aus poliertem Marmor. Diese Haut war von so durchschimmernder Reinheit, daß ich -an den Schläfen und unmittelbar unter jedem Ohr -den bläulichen Hauch zarter Adern darunter ahnte, welche durch die Haut hindurchschimmerten, ähnlich wie die auf der Innenseite angebrachten Muster auf den dünnen Porzellangefäßen der Meistertöpfer zu sehen waren, wenn man sie gegen das Licht hielt. Noch etwas ging mir auf, als ich diese Gelegenheit wahrnahm, ihre Züge aus so großer Nähe zu betrachten. Bis jetzt hatte ich gemeint, daß die Männer und Frauen dieser Völker hier im Osten sämtlich schmale, schlitzförmige Augen hätten -ja, Schlitzaugen hatte Kubilai sie einst genannt -, wimpernlose, ausdruckslose, unergründliche Augen. Jetzt jedoch konnte ich sehen, daß dies an nichts anderem lag als daran, daß sie an ihrem oberen Lid noch einen winzigen zusätzlichen Winkel aufwiesen und aus diesem Grunde diesen Eindruck hervorriefen, und auch das nur, wenn man weiter von ihnen weg stand. Von nahem erkannte ich, daß Hui-shengs Augen auf ganz wunderbare Weise mit vollendeten Fächern herrlich feiner, langer und anmutig geschwungener tiefschwarzer Wimpern ausgestattet waren.
    Als das zunehmende Tageslicht im Raum sie schließlich weckte und sie die Augen aufschlug, konnte ich sehen, daß sie womöglich größer und leuchtender waren als diejenigen der meisten Frauen im Abendland. Sie besaßen eine intensive, dunkle, qawah-braune Färbung, die jedoch winzige rehfarbene Einsprengsel aufwies, wohingegen das Weiß von einer solche n Reinheit war, daß es nahezu bläulich schimmerte. Hui-shengs Augen flossen, als sie sie öffnete -wie wohl die eines jeden Menschen in diesem Augenblick -über von irgendwelchen Traumresten -, doch als sie sich der wirklichen Welt, der Welt des Tages, um sich herum bewußt wurde, nahmen ihre Augen den überaus lebhaften Ausdruck guter Laune an und wirkten ausgesprochen gedanken-und gefühlvoll. Unterscheiden taten sie sich von den Augen abendländischer Frauen eigentlich nur dadurch, daß sie nicht so leicht zu durchschauen waren, doch von Undurchdringlichkeit konnte wahrhaftig nicht die Rede sein, sie

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