Marco Polo der Besessene 2
anderes, das ich ihm gleichfalls mitgebracht hatte: das Stück Papier, auf welches ich die Namen von Bayans Waffenmeistern niedergeschrieben hatte, welche die Messingkugeln in den Felsspalten festgeklemmt hatten und deren Namen ich beim Khakhan lobend zu erwähnen versprochen hatte. Ich fand auch das, und dieses wiederum brachte mich darauf, alle meine anderen Erinnerungen zusammenzusuchen, die ich von noch früheren Reisen mitgebracht hatte.
Wer weiß, vielleicht hatte ich nie wieder Gelegenheit, meine Vergangenheit an mir vorüberziehen zu lassen, denn möglicherweise hatte ich keine Zukunft mehr, auf die ich mich freuen konnte. Infolgedessen ging ich hin, stöberte unter den älteren Paketen und in den Satteltaschen und holte all diese Dinge heraus und betrachtete sie noch einmal liebevoll. Meine sämtlichen Aufzeichnungen und die Teilkarten hatte ich bereits meinem Vater gegeben, damit dieser sich für mich um sie kümmere, aber es waren auch noch eine Menge anderer Dinge da -bis hin zu jenem aus Holz und Schnur bestehenden kamàl, den ein Mann namens Arpad mir in Suvediye gegeben hatte, damit ich genau feststellen könnte, wie weit nach Süden oder Norden wir auf unserem Weg abgewichen wären… und einem nunmehr ziemlich verrosteten shimshir-Säbel, den ich aus dem Vorrat eines alten Mannes namens »Schönheit des Glaubensmonds« an mich genommen hatte, und…
Wieder wurde an der Tür gekratzt, und diesmal war es Mafio. Ich war nicht gerade überglücklich, ihn zu sehen, aber zumindest trug er jetzt Männerkleidung, und so ließ ich ihn eintreten. Als ob er mit der anderen Kleidung sich zugleich auch wieder ein Stück Männlichkeit angeeignet hätte, sprach er mit der heiseren Stimme von ehedem und schien sogar den Mut zu haben, ein wenig großzusprechen wie früher. Nachdem er mich nachlässig mit einem »Bondì« gegrüßt hatte, überfiel er mich mit einer regelrechten Suada:
»Ich habe die ganze Nacht wach gelegen, Neodo Marco, und mir Sorgen gemacht um deine Situation -über unser aller Situation -und bin dann augenblicklich hierher gekommen, ohne zuvor auch nur zu frühstücken, um dir zu sagen…«
»Nein!« herrschte ich ihn an. »Ich bin längst nicht mehr dein kleiner Neffe, und du wirst mir nichts sagen. Auch ich bin die ganze Nacht aufgewesen und habe Entscheidungen darüber getroffen, was ich zu tun habe; nur wie ich das tun werde, darüber bin ich mir noch nicht ganz im klaren. Falls du also irgendwelche Vorstellungen hast, bin ich bereit, mir diese anzuhören. Aber von Anweisungen oder Forderungen will ich nichts hören.«
Er verlegte sich augenblicklich aufs Bitten und sagte begütigend: »Adasio, adasio«, hob beschwörend die Hände und ließ die Schultern sacken wie ein geprügelter Hund. Mir tat es fast leid zu sehen, wie meine entschiedene Zurechtweisung ihn klein machte, und so sagte ich nicht ganz so barsch: »Wenn du noch nicht gefrühstückt hast - da drüben steht eine Kanne heißer cha.«
»Danke«, sagte er kleinlaut, setzte sich und schenkte sich einen Becher ein. Dann begann er von neuem: »Ich bin ja nur gekommen, um zu sagen, Marco… das heißt, um dir vorzuschlagen -du solltest vielleicht noch nichts Drastisches unternehmen, bis ich nicht noch einmal mit dem Wali Achmad gesprochen habe.«
Da ich ja noch keinerlei festen Plan hatte, etwas Drastisches oder auch weniger Drastisches zu tun, zuckte ich nur mit den Achseln, hockte mich auf den Boden und fuhr fort, mir meine Mitbringsel wieder anzusehen. Er redete weiter:
»Wie ich dir gestern abend schon versucht habe zu erklären, habe ich Achmad ersucht, einen Waffenstillstand zwischen sich und dir in Erwägung zu ziehen. Bitte, ich trete hier nicht als Verteidiger der Ungeheuerlichkeiten auf, die er begangen hat. Aber wie ich ihm deutlich gemacht habe, hat er beim Begehen dieser Dinge alle Zeugen, die für dich wichtig wären, aus dem Weg geräumt; infolgedessen brauchte er nicht zu fürchten, daß du versuchen würdest, ihn zu verleumden. Gleichzeitig, und auch darauf habe ich hingewiesen, hat er dich ja wohl hinreichend dafür bestraft, überhaupt seinen Zorn erregt zu haben.« Mafio nippte an seinem cha und lehnte sich dann vor, um zu sehen, was ich täte. »Caza beta! Die Erinnerungen an unsere Reisen. Ein paar von diesen Dingen hatte ich schon ganz vergessen. Arpads kamàl. Und hier eine Dose mit der mumum-Enthaarungssalbe. Und das Fläschchen da, ist das nicht eine Erinnerung an den Scharlatan Hakim Mimdad? Und ein
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