Marco Polo der Besessene 2
»Hauptsache, es gehört uns. Sie sollen mich bloß ihre Hauptstadt nehmen lassen - sie heißt Chiang-Rai -, und wenn der König die Waffen streckt, habe ich nicht vor, den Rest des Landes in Schutt und Asche zu legen. Auf diese Weise ist es dann eine ständige Quelle für die schönsten Sklaven, dem Rest des Khanats zu dienen und ihm zur Zierde zu gereichen. Hui! Doch jetzt genug von der Politik!« Er schob seinen immer noch reichlich gefüllten Teller beiseite, leckte sich genüßlich die Lippen und sagte: »Und jetzt der Nachtisch, die Mahlzeit abzuschließen. Das durian.«
Wieder eine zweifelhafte Überraschung. Die Frucht, die uns vorgesetzt wurde, sah aus wie eine stachelbewehrte Melone, doch als der Diener sie aufschnitt, sah ich, daß sie innen große Kerne aufwies, groß wie Hühnereier -und der Geruch, der davon aufstieg, hätte mich ums Haar dazu gebracht, vom Tisch aufzuspringen und davonzulaufen.
»Ja, ja«, sagte Bayan mürrisch. »Ihr braucht gar nicht erst anzufangen, Euch zu beschweren. Ich weiß, daß es stinkt. Aber dies ist das durian.«
»Bedeutet das Wort ›Aas‹? So jedenfalls riecht es.«
»Es ist die Frucht des durian-Baums. Abstoßender riecht wohl keine Frucht -aber ihr Geschmack, der ist etwas ganz Besonderes. Laßt Euch vom Geruch nicht abhalten, sondern eßt!«
Hui-sheng und ich sahen einander an, und sie machte ein genauso betroffenes Gesicht wie ich vermutlich auch. Doch der Mann muß dem Weib gegenüber Mut beweisen. Deshalb nahm ich eine Scheibe der cremefarbenen Frucht, versuchte, den Atem anzuhalten und hineinzubeißen. Bayan hatte wieder einmal recht. Das durian hatte einen Geschmack, der mit nichts zu vergleichen war, das ich bisher und auch seither gegessen hatte. Noch heute weiß ich, wie es schmeckt -doch wie den Geschmack beschreiben? Wie eine Creme aus Sahne und Butter, mit Mandeln gewürzt -doch zu diesem Geschmack gesellten sich Ahnungen anderer Aromen höchst unerwarteter Natur: die von Wein und Käse, ja sogar von Schalotten. Das durian war weder süß noch saftig wie etwa die hami-Melone, und auch keine herbe Erfrischung wie ein sharbat; und doch hatte es von all diesen Genüssen etwas. Vorausgesetzt, man schaffte es, den von ihm ausgehenden Verwesungsgeruch zu überstehen, stellte das durian eine Gaumenüberraschung dar, wie sie köstlicher nicht denkbar ist.
»Viele Menschen werden geradezu süchtig nach dem Genuß von durian«, sagte Bayan. Er mußte selbst dazugehört haben, denn er schmauste und schlemmte und sprach mit vollen Backen. »Sie verabscheuen das scheußliche Klima von Champa, bleiben aber allein des durian wegen, das nirgendwo sonst auf der Welt gedeiht.« Und wieder hatte er recht. Sowohl Hui-sheng als auch ich sollten zu begeisterten Anhängern dieser Frucht werden. »Außerdem ist sie nicht nur köstlich und erfrischend«, fuhr er fort. »Sie wirkt auch auf anderem Gebiete appetitanregend. Hier in Ava sagt man: Wenn das durian fällt, heben sich die Röcke.« Und auch das stimmte, wie Hui-sheng und ich später beweisen sollten.
Als wir uns schließlich an der Frucht gesättigt hatten, lehnteBayan sich zurück, wischte sich den Mund am Ärmel ab und sagte: »So. Es ist gut, Euch hier zu haben, Marco, besonders, wo Ihr in so reizvoller Begleitung gekommen seid.« Er streckte die Hand aus und tätschelte Hui-sheng die Rechte. »Doch wie lange werdet ihr beide bleiben? Welche Pläne habt ihr?«
»Überhaupt keine«, sagte ich, »jetzt, wo ich die Schreiben des Khakhan überbracht habe. Höchstens, daß ich Kubilai versprochen habe, ihm ein Erinnerungsstück aus seiner neugewonnenen Provinz mitzubringen. Etwas, das es nur hier gibt.«
»Hm«, machte Bayan und überlegte. »Auf Anhieb fällt mir nichts Besseres ein als ein Geschenkkorb voll durian, doch die würden die lange Reise nicht überstehen. Aber gleichviel. Es wird nachgerade Abend, und das ist die schönste Zeit zum Spazierengehen. Nehmt Eure Dame und Euren Dolmetsch und seht Euch Pagan an. Wenn Euch irgend etwas begegnet, das Euch gefällt, ist es Eures.«
Ich bedankte mich für das großzügige Angebot. Als Hui-sheng und ich uns erhoben, um zu gehen, setzte er noch hinzu: »Wenn es dunkel wird, kommt zurück in den Palast. Die Myama lieben nichts mehr als das Aufführen von Schauspielen und verstehen sich überaus gut darauf. Eine Truppe hat ein außerordentlich betörendes Stück ausgesucht, von dem sie jeden Abend im Thronsaal einen Teil eigens für mich aufführen. Ich verstehe
Weitere Kostenlose Bücher