Marco Polo der Besessene 2
er nur Hui-sheng an meiner Seite. Als ich sie vorstellte, lächelte sie ihn etwas nervös an, denn Bayan saß im Thronsaal des Palastes von Pagan auf dem Thron des Königs von Ava, machte allerdings nicht gerade einen sehr königlichen Eindruck. Er lag gleichsam schräg hingelümmelt da, und seine Augen waren merklich blutunterlaufen.
»Hab' den Weinkeller des Königs gefunden«, sagte er. »Weder kumis noch arkhi, dafür aber ein choum-choum genanntes Gesöff. Aus Reis gemacht, hat man mir gesagt; ich jedoch meine, es besteht aus nichts anderem als geballten Erdbeben und Lawinen. Hui! Marco! Erinnert Ihr Euch noch an unsere Lawine? Kommt, nehmt einen Schluck!« Er schnippte mit den Fingern, und eine barfüßige und barbusige Dienerin beeilte sich, mir eine Schale einzuschenken.
»Was ist aus dem König geworden?« fragte ich.
»Hat seinen Thron verwirkt, sich der Achtung seines Volkes begeben und Namen und Leben weggeworfen«, sagte Bayan und schmatzte mit den Lippen. »Bis zu seiner Flucht war er
König Narsinha-pati. Jetzt nennen seine einstigen Untertanen ihn Tayok-pyemin -den ›König Der Davonlief‹. Sie sind vergleichsweise froh, uns statt dessen hier zu haben. Der König ist, als wir näherrückten, in den Westen geflohen, hinüber nach Akyab, der Hafenstadt in der Bucht von Bengalen. Wir dachten, er würde mit dem Schiff das Weite suchen, aber er blieb einfach dort. Aß und verlangte mehr und immer mehr zu essen. So hat er sich zu Tode gefressen. Merkwürdiger Abgang.«
»Klingt nach einem Mien«, sagte ich angewidert.
»Ja, das ist richtig. Dabei war er gar kein Mien. Die königliche Familie stammte aus Bengalen, einem Land in Indien. Deshalb hatten wir ja auch gedacht, daß er dorthin fliehen würde. Jedenfalls gehört Ava heute uns, und ich bin regierender Wang von Ava, bis Kubilai einen Sohn oder jemand anderen schickt, der mich für immer ablöst. Falls Ihr den Khakhan seht, ehe ich das tue, sagt ihm, er soll jemand mit kaltem Blut schicken, jemand, der dieses höllische Klima erträgt. Und sagt ihm, er soll sich damit beeilen. Meine sardars kämpfen jetzt drüben im Osten, in Muang Thai, und ich möchte zu ihnen stoßen.«
Hui-sheng und ich erhielten eine große Wohnung im Palast zugewiesen, zu der auch ein paar von den ungewöhnlich unterwürfigen Dienern der ehemaligen königlichen Familie gehörten. Ich bat Yissun, einen der vielen Schlafräume zu nehmen und als mein Dolmetsch in meiner Nähe zu bleiben. Hui-sheng, die jetzt ohne persönliche Bediente war, wählte sich eine von den uns zugewiesenen Dienerinnen aus, ein Mädchen von siebzehn Jahren, das dem Volk der Shan angehörte, die manchmal auch Thai genannt werden. Das Mädchen hieß Arùn »Morgendämmerung« -und besaß ein fast genauso hübsches Gesicht wie ihre neue Herrin.
In unserer Badekammer, die groß und wohleingerichtet war wie ein persischer hammam, war das neue Mädchen Hui-sheng und mir behilflich, gemeinsam mehrere Male zu baden, bis wir frei waren von den letzten Dschungelverkrustungen, und uns dann anzukleiden. Für mich lag einfach eine Bahn Seidenbrokat da, die ich mir wie einen Rock umwickeln konnte. Hui-shengs Gewand bestand aus nichts anderem, nur, daß der Stoff bei ihr so hoch um sie herumgewickelt wurde, daß die Brüste bedeckt waren. Arùn öffnete und wickelte ihr aus einer einzigen Stoffbahn bestehendes Gewand ohne jede Scheu mehrere Male auf und wickelte es wieder um sich -nicht, um uns vorzuführen, daß sie darunter nichts anhatte, sondern um uns zu zeigen, wie wir die unseren um uns herumwickeln sollten, damit sie nicht rutschten, sondern hielten. Trotzdem nahm ich die Gelegenheit wahr, den Körper des Mädchens zu bewundern, denn dieser war schön wie ihr Name, und Hui-sheng verzog, als sie das bemerkte, das Gesicht, woraufhin ich grinste und Arùn loskicherte. Man gab uns weder Schuhe noch Schlupfpantoffeln; hier im Palast ging jeder bis auf den schwer gestiefelten Bayan barfuß, und auch ich zog später nur dann Schuhe an, wenn ich nach draußen ging. Dann jedoch brachte Arùn noch etwas zum Anziehen: Ohrringe für uns beide. Doch da wir keine durchstochenen Ohren hatten, konnten wir sie nicht tragen.
Als Hui-sheng sich mit Arùns Hilfe reizvoll frisiert und Blumen ins Haar gesteckt hatte, begaben wir uns wieder nach unten in den Speisesaal des Palastes, wo Bayan uns zu Ehren ein Willkommensmahl gab. Wir waren es nicht gewohnt, mittags eine große Mahlzeit zu uns zu nehmen, doch freuten wir uns auf
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