Marco Polo der Besessene 2
etwas Anständiges nach den kargen Portionen während der Bootsreise, und so versetzte es mir einen kleinen Stich, als ich sah, was man uns vorsetzte: schwarzes Fleisch und violetten Reis.
»Bei Tengri!« knurrte ich Bayan an. »Ich weiß ja, daß die Mien sich die Zähne schwärzen; daß sie aber nun auch noch das Essen schwarzfärben, das man zwischen die Zähne bekommen soll, ist mir bis jetzt noch nicht aufgefallen.«
»Eßt, Marco«, sagte er ungerührt. »Was Ihr da vor Euch seht, ist Huhn, und die Hühner in Ava haben nicht nur schwarzes Gefieder, sondern auch schwarze Haut und schwarzes Fleisch alles an ihnen ist schwarz, bis auf die Eier. Aber laßt Euch von dem Aussehen des Vogels nicht anfechten, er ist in der Milch der Indischen Nuß gekocht und schmeckt köstlich. Der Reis ist auch nichts anderes als nur Reis, nur wächst der hierzulande in schreienden Farben - indigoblau, gelb, leuchtendrot. Heute ist es nun mal violetter Reis. Aber er ist gut. Eßt und trinkt und laßt es Euch schmecken.« Mit eigener Hand schenkte er Hui-sheng einen Becher bis zum Rand mit Reisgetränk voll.
Wir aßen, und die Speisen waren wirklich sehr gut. In diesem Land gab es nicht einmal im Paganer Palast so etwas wie flinke Zangen oder irgendwelches andere Eßgerät. Man aß einfach mit den Fingern -was Bayan ohnehin getan hätte. Er saß da, stopfte abwechselnd eine Handvoll der schreiendbunten Speisen in sich hinein und trank große Schlucke choum-choum -Hui-sheng und ich nippten nur an dem unseren, denn es war sehr stark -, und ich berichtete von unseren Abenteuern auf dem Irawadi sowie von der ausgeprägten Abneigung, die ich gegen die Bewohner Avas gefaßt hatte.
»Auf der Flußebene habt Ihr nur die hergelaufenen Mien erlebt«, sagte Bayan. »Vermutlich würden sie in Eurer Achtung steigen, wäret Ihr durch das Bergland heruntergekommen und hättet die Ureinwohner dieser Lande zu sehen bekommen. Die Padaung, zum Beispiel. Deren Frauen fangen schon als kleine Kinder an, Messingringe um den Hals zu tragen und immer noch einen darüber zu legen, bis sie, wenn sie mannbar werden, einen messingbereiften Hals haben, so lang wie der eines Kamels. Oder die Moi. Deren Frauen wiederum durchbohren sich die Ohrläppchen und dehnen diese Löcher mit immer größeren Schmuckscheiben, bis die Ohrläppchen zu großen Schlaufen geworden sind, in denen sich nichts mehr hält. Ich habe mal eine Moi gesehen, die hatte die Arme durch die schlaufengroßen Ohrläppchen gesteckt, damit sie ihr aus dem Wege wären.«
Ich nahm an, daß Bayan nur trunkenen Unsinn plapperte, hörte ihm jedoch respektvoll zu. Doch als ich später Angehörige dieser barbarischen Stämme auf den Straßen von Pagan selbst erlebte, ging mir auf, daß er die Wahrheit gesprochen hatte.
»Das sind Stämme, die draußen auf dem Lande leben«, fuhr er fort. »Die Städter sind da schon eine bessere Mischung. Ein paar Ureinwohner und Mien, die hier nur durchkommen, einige wenige Einwanderer aus Indien, die meisten jedoch sind Angehörige des zivilisierteren und kultivierteren Volkes der Myama. Diese stellen seit langem den Adel und die Oberschicht von Ava und sind allen anderen weit überlegen. Die Myama sind sogar so klug, als Diener und Sklaven nicht auf die weit unter ihnen stehenden Nachbarn zurückzugreifen. Dafür sind sie von jeher ins Feld gezogen und haben sich Shan geholt. Die Shan -oder Thai, wenn Euch das lieber ist -sind merklich schöner und reinlicher und intelligenter als jede andere Volksgruppe sonst hier.«
»Ja, ich habe gerade eine Thai kennengelernt«, sagte ich und fügte, da Hui-sheng nichts hören und deshalb auch keine Einwände erheben konnte, hinzu: »Ein Thai-Mädchen, das wirklich ein herrliches Geschöpf ist.«
»Sie sind doch der eigentliche Grund, warum ich hierhergekommen bin nach Ava«, sagte Bayan. Das wußte ich zwar bereits, doch unterbrach ich ihn nicht. »Die sind wirklich ein achtbares Volk -es lohnt sich, sie zu behalten. Zu viele von ihnen sind aus unserem Herrschaftsgebiet fortgezogen und zu einem Volk geflohen, das sie Muang Thai nennen. Das Khanat möchte, daß sie Shan bleiben und nicht zu Thai werden. Das heißt, nicht ›Freie‹ sondern Untertanen des Khanats.«
»Ich verstehe ja den Standpunkt des Khanats«, sagte ich. »Aber wenn es wirklich ein ganzes Land voll mit so schönen Menschen gibt, wäre mir daran gelegen, daß es dieses auch weiterhin gibt.«
»Oh, warum sollte es das nicht tun«, sagte Bayan,
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