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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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selbstverständlich kein Wort, aber ich versichere Euch, es ist keine alberne Geschichte. Wir sind jetzt beim achten Abend angekommen, und die Schauspieler brennen darauf, in ein oder zwei Tagen endlich zu der entscheidenden Szene zu kommen.«
    Als Yissun sich zu uns gesellte, brachte er den gelbgewandeten pongyi des Palastes mit. Dieser ältere Herr war so freundlich, uns zu begleiten, und erklärte uns mit Hilfe von Yissun vieles, was uns sonst unverständlich geblieben wäre; ich wiederum konnte die Erklärungen an Hui-sheng weitervermitteln. Zunächst lenkte der pongyi unsere Aufmerksamkeit auf das Äußere des Palastes selbst. Es handelte sich um eine aus zwei-und dreistöckigen Gebäuden bestehende Anlage, fast so groß und so prächtig wie der Palast von Khanbalik. Er war in einem der Han-Architektur ähnlichen Stil errichtet -auf eine, möchte ich sagen, Han-Elemente konzentrierende und womöglich noch verfeinernde Weise. Sämtliche Wände, Säulen, Fensterstürze und dergleichen waren, wie bei den Han, reich geschnitzt und mit Hilfe von Voluten und Filigranschnitzwerk verziert - nur alles ungleich zierlicher und zarter. Ich wurde an reticella-Spitzen erinnert, wie sie im venezianischen Burano gefertigt werden. Im Gegensatz zu den sanft geschwungenen Drachenfirsten der Han, weisen diese hier in steilem Schwung gen Himmel.
    Der pongyi legte die Hand auf eine besonders glatt geputzte Außenmauer und fragte, ob wir sagen könnten, woraus sie bestehe. Bewundernd sagte ich: »Sie scheint aus einem riesigen einzelnen Stein gemacht. Einem regelrechten Felsquader.«
    »Nein«, dolmetschte Yissun. »Die Mauer besteht aus Ziegeln, einer Menge einzelner Ziegel; nur weiß heutzutage kein Mensch mehr, wie es gemacht wurde. Sie stammt nämlich aus längst vergangener Zeit, aus den Tagen der Cham-Handwerker, die ein geheimes Verfahren kannten, die Ziegel irgendwie erst nach dem Aufeinanderlegen zu brennen, wodurch die Wirkung einer glatten, fugenlosen Steinoberfläche erzielt wurde.«
    Sodann führte er uns in einen Gartenhof und fragte, ob wir sagen könnten, was es darstelle. Es handelte sich um einen quadratischen Hof, groß wie ein Marktplatz und umrandet von Blumenrabatten und -beeten; das Innere jedoch bildete ein Rasen aus gepflegtem Gras. Ich sollte wohl sagen, aus einem Rasen, der aus zwei verschiedenen Grassorten bestand, einer hellgrünen und einer dunkelgrünen, die beide abwechselnd in gleichgroßen Quadraten neben-und übereinander gesät worden waren. Ich konnte nur raten: »Es soll hübsch aussehen. Was sonst?«
    »Nein, es erfüllt noch einen besonderen Zweck, U Polo«, sagte der pongyi. »Der König, Der Davonlief, spielte begeistert ein Spiel, das Min Tran; heißt. Min ist selbstverständlich unser Wort für König, und Tranj bedeutet Krieg, und…«
    »Aber natürlich!« rief ich aus. »Dasselbe wie das Spiel Krieg der Shahi. Das Ganze stellt also ein riesiges Spielbrett unter freiem Himmel dar. Dann muß der König ja Figuren gehabt haben, die so groß waren wie er selbst.«
    »Das hatte er auch. Er besaß schließlich Untertanen und Sklaven. Bei den gewöhnlichen Spielen pflegte er den einen Min darzustellen und irgendein Günstling den gegnerischen. Sklaven mußten Masken und Kostüme der verschiedenen anderen Figuren anziehen -ein General für je eine der beiden Seiten, die beiden Elefanten, Reiter und Krieger und Fußsoldaten. Dann lenkten die beiden Min das Spiel, und jede Figur, die verloren war, war buchstäblich verloren. Amé! Vom Spielfeld heruntergenommen und enthauptet - dort drüben, unter den Blumen.«
    »Porco Dio!« fluchte ich halblaut.
    »Erregte jedoch irgendein Höfling oder mehrere von ihnen das Mißfallen des Min -des richtigen Königs, versteht sich -, mußten diese die Kostüme der Fußsoldaten anziehen und deren Masken tragen. Das war in mancher Beziehung gnädiger, als einfach ihre Enthauptung zu befehlen, konnten sie auf diese Weise doch jedenfalls hoffen, das Spiel zu überleben und den Kopf auf den Schultern zu behalten. Leider jedoch muß gesagt werden, daß der König bei solchen Gelegenheiten äußerst rücksichtslos spielte, und es -amé -kam dann höchst selten vor, daß die Blumenbeete nicht reichlich mit Blut getränkt wurden.«
    Den Rest des Nachmittags verbrachten wir damit, unter den p'hra-Tempeln von Pagan umherzuspazieren, jenen Rundbauten wie umgestülpte Handglocken. Ich muß schon sagen, daß ein wirklich frommer, hingebungsvoller Erforscher sein ganzes Leben

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