Marco Polo der Besessene 2
wenigstens ein paar Erfindungen hier gibt, die nur ich warten kann, bin ich vor Konkurrenten sicher.«
Der Prinz lächelte verständnisvoll und sagte: »Selbstverständlich, Meister Boucher.«
Ich tat das gleiche, fügte jedoch noch hinzu: »Da wir vom Festsaal sprechen - da ist noch etwas, worüber ich mir den Kopf
zerbrochen habe. Obwohl der Saal gesteckt voll war von Menschen, wurde die Luft nie schal, sondern blieb vielmehr kühl und frisch. Wird das mit einem von Euren Apparaten erreicht, Pierre?«
»Non«, sagte er. »Das ist eine ganz simple Sache, die schon vor langer Zeit von den Han erfunden wurde und im Augenblick vom Palastingenieur betrieben wird.«
»Kommt, Marco«, sagte Chingkim. »Wir können ihm einen Besuch abstatten. Seine Werkstatt liegt ganz in der Nähe.«
Folglich sagten wir dem Hofgoldschmied au revoir und gingen zu Meister Wei, dem ich als nächstem vorgestellt wurde. Meister Wei sprach nur Han, und so wiederholte Chingkim ihm meine Fragen nach der Belüftung des Festsaals, um die Antwort des Ingenieurs dann für mich zu dolmetschen.
»Die Sache ist ganz einfach«, beteuerte auch er. »Es ist ja wohlbekannt, daß kalte Luft von unten stets darübergelagerte warme Luft verdrängt. Nun sind alle Palastgebäude unterkellert, und Gänge verbinden die einzelnen Keller miteinander. Unter jedem Gebäude liegt ein Kellerraum, der ausschließlich als Eislager dient. Wir werden ständig mit Eisblöcken versorgt, die in den ewig kalten Bergen im Norden von Sklaven gebrochen, in Stroh eingewickelt und mit Schnelltransporten hierhergeschafft werden. Durch sinnreiches Öffnen und Schließen von Türen und Gängen kann ich die Kühle des Eislagers hinlenken, wo immer sie gebraucht wird - oder abstellen, wenn sie nicht mehr benötigt wird.«
Ohne von mir dazu aufgefordert worden zu sein, fuhr Meister Wei fort, noch etliche andere Einrichtungen hoch zu loben, deren Funktion er regelte.
»Mittels eines von uns Han entwickelten Wasserrads wird ein Teil des Wassers für die Zierbäche in den Gärten abgeleitet und in Tanks gelenkt, die in allen Palastbauten unter dem Dachfirst befestigt sind. Das Wasser in diesen Tanks kann nun entweder dazu gebracht werden, durch Rohre über den Eisräumen oder aber über den Küchenherden zu fließen. Dabei wird es gekühlt oder erhitzt und setzt mich instand, künstliches Wetter zu machen.«
»Künstliches Wetter?« fragte ich verwundert.
»In jedem Garten gibt es Pavillons, in denen die Damen und Herren der Muße pflegen. Ist der Tag sehr warm und begehrt ein Herr oder eine Dame die Erfrischung durch einen Regen, ohne dabei naß zu werden - oder wenn ein Dichter in schwermütiger Stimmung meditieren möchte -, brauche ich nur an einem Rad zu drehen. Dann regnet es ringsum aus den Dachtraufen des Pavillons. Außerdem befinden sich in den Pavillons Sitze, die so aussehen, als bestünden sie ganz aus Stein; dabei sind sie innen hohl. Indem ich im Sommer das kalte Wasser oder im Frühling oder Herbst das warme Wasser hindurchleite, machte ich die Sitze angenehmer für die erhabenen Hinterteile, die auf ihnen ruhen. Sobald der neue kara-Hügel fertig ist, werde ich in den Pavillon ein paar noch angenehmere Erfindungen installieren. Dann soll das Wasser in den Röhren kühlende Ventilatoren antreiben und durch Flötenpfeifen rinnen, die sanft trillernde Töne von sich geben.«
Was sie wirklich taten. Das weiß ich, denn in späteren Jahren verbrachte ich mit Hui-sheng so manchen verträumten Nachmittag in diesen Pavillons, und ich übersetzte das Gemurmel der Musik in zärtliche Berührungen und sanftes Streicheln… Doch bis dahin sollten, wie gesagt, noch ein paar Jahre vergehen…
Ich habe bis jetzt nur ein paar wenige von den Neuerungen und Wundern erwähnt, denen ich in Kithai, in Khanbalik und innerhalb der Palastanlagen des Khakhan begegnete -und vielleicht genügen diese nicht, um deutlich zu machen, wie so ganz anders Kithai war als andere Länder, die ich bisher kennengelernt hatte. Aber es war anders, und mir liegt daran, dieses Anderssein deutlich zu machen. Es sei an dieser Stelle daran erinnert, daß Khan Kubilai ein Reich sein eigen nannte, das alle möglichen Völker und Gemeinschaften, Lande und Klimate umfaßte. Er hätte seine Residenz in der frühen, weiter nördlich gelegenen Hauptstadt der Mongolen, Karakoren, aufschlagen können, oder in ihrer ursprünglichen, noch weiter im Norden gelegenen Heimat, Sibir -aber er hätte sie auch überall sonst
Weitere Kostenlose Bücher