Marco Polo der Besessene 2
erreichte, Nase und Ohren also gleichzeitig beschäftigt waren. Oder aber der leichte Knoblauchduft von garendem miàn das Schlürfen der Esser begleitete, die sich mit Hilfe von »Flinken Zangen« aus einer Schale Nudeln in den Mund schaufelten. Da Khanbalik nun einmal die Residenzstadt des Khan Aller Khane war, begegnete man auf den Straßen ständig Trupps von Straßenreinigern mit Eimern und Besen. Infolgedessen waren die Straßen für gewöhnlich frei von widerwärtigen Gerüchen wie etwa dem menschlicher Exkremente -und zwar noch auffälliger als jede andere Kithaier Stadt und unsäglich freier davon als die Städte irgendwo sonst im Orient. Im allgemeinen roch es in Khanbalik nach einem Gemisch von Gewürzen und siedendem Öl. Mit diesen Gerüchen in der Nase ging ich an verschiedenen Läden und Marktständen vorüber, von denen noch die Gerüche von Jasmin, cha, Glutpfannen, Sandelholz, Früchten, Weihrauch und gelegentlich auch dem Duft des parfümierten Fächers einer vorübergehenden Dame mich anwehten.
Die meisten Straßengeräusche ertönten unablässig bei Tag und bei Nacht: das Gebrabbel und Geschnatter der ständig im Singsang redenden Menschen auf der Straße, das Geratter und Gerumpel von Wagen und Karrenrädern -und nicht selten auch das damit einhergehende Gebimmel, denn viele Fuhrleute hatten kleine Glöckchen an die Speichen ihrer Räder gebunden -, das Getrappel von Pferde-und Yakhufen, das hellere Getrippel der Eselshufe, das Geschlurfe der dick gepolsterten Kamelsfüße und das Rascheln der Strohsandalen, welche die endlos vorüberziehenden Lastträger anhatten. Dieses ständige Geräuschgemisch wurde häufig unterbrochen von den klagend klingenden Ausrufen der Fischhändler oder dem twok-twok eines Geflügelverkäufers, der mit einem Stecken gegen seine hohle Holzente trommelte, oder dem weithin hallenden Buuumbuuum-buuum, das von einem der Trommeltürme ertönte, die Feueralarm gaben, weil irgendwo ein Brand ausgebrochen war. Nur hin und wieder ebbte das Straßengeräusch ab und erstarb zu einem respektvollen Schweigen, wenn ein Trupp Palastwachen hindurchzog, einer von den Männern voranging und laut eine Art Leier aus Messingplättchen schlug, während die anderen keulenähnliche Knüttel schwangen, um den Weg freizumachen für den hohen Herrn, der hoch zu Roß hinter ihnen herritt oder in einer Sänfte vorbeigetragen wurde.
Bisweilen vernahm man über dem Straßenlärm -aber buchstäblich darüber -ein feines melodiöses Flirren in der Luft. Als ich es die ersten Male hörte, war ich ganz verwirrt und konnte mir keinen Reim darauf machen. Dann jedoch erkannte ich, daß zumindest eine Taube innerhalb eines jeden Schwarms der gewöhnlichen Tauben in der Stadt eine winzige Flöte am Bein befestigt hatte, die einen Ton von sich gab, wenn das Tier durch die Luft flog. Außerdem gab es unter den gewöhnlicheren Tauben eine Art mit pludrigem Gefieder, wie ich sie noch nie zuvor gesehen hatte. Im Flug konnte sie mitten in der Luft plötzlich stehenbleiben, irgendwie gleich einem Drahtseiltänzer, nur ohne Drahtseil, eine Kapriole nach der anderen schlagen, sich unversehens abfangen und gemessen weiterfliegen, als wäre nichts geschehen.
Hob ich den Blick jedoch noch höher, über die Dächer der Stadt hinweg, konnte ich an einem windigen Herbsttag wohl Schwärme von feng-zhen über den Himmel ziehen sehen. Das waren keine Vögel, wiewohl sie die Gestalt und die Farbe von Vögeln hatten. Andere ähnelten riesigen Schmetterlingen oder kleinen Drachen. So ein feng-zhen ist eine Konstruktion aus leichten Leisten und dünnem Papier, das mit einer langen aufgewickelten Schnur verbunden ist. Ein Mann lief mit dem feng-zhen eine Weile dahin, ließ ihn dann vom Wind tragen und ihn durch vorsichtiges Zerren an der Schnur, die er in Händen hielt, in die Höhe steigen, heruntersegeln und am Himmel kreisen. (Ich selbst habe diese Kunst nie beherrscht.) Wie hoch so ein feng-zhen stieg, hing einzig von der Länge der Schnur dessen ab, der ihn steigen ließ; manchmal stieg er so hoch, daß er den Blicken zu entschwinden drohte. Die Männer waren ganz versessen darauf, feng-zhen-Wettkämpfe auszutragen. An der Schnur wurde mittels Leim ein scharfer Gries aus zerstoßenem Porzellan oder Moskowiter Glas festgeklebt. Dann ließ man ihn fliegen und bemühte sich, ihn dergestalt zu lenken, daß er die Schnur eines Gegners durchschnitt, woraufhin dieser gaukelnd vom Himmel heruntergesegelt kam. Diejenigen, die
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