Marco Polo der Besessene 2
beeindruckt und redeten wieder leise durcheinander.
Schließlich muß einer der Weisen beschlossen haben, den Umfang meines astronomischen Wissens auf die Probe zu stellen, denn er legte mir - über Jamal - noch eine Frage vor:
»Was haltet Ihr von den Sonnenflecken, Marco Polo?«
»Ah«, sagte ich, hoch erfreut, augenblicklich antworten zu können. »Eine ganz abscheuliche Entstellung. Schrecklich, diese Dinger.«
»So, meint Ihr? Wir unter uns sind geteilter Meinung, ob sie im Bauplan des Universums etwas Gutes oder etwas Böses verheißen.«
»Nun, ich weiß nicht, ob ich sie nun rundheraus als böse bezeichnen soll. Aber häßlich, ja, das sind sie ganz gewiß. Ich war lange Zeit hindurch irrtümlich der Meinung, alle Mongolinnen seien häßlich, bis ich die hier im Palast zu sehen bekam.«
Verständnislos blinzelnd sahen die Herren mich an, und Meister Jamal meinte unsicher: »Was hat das mit dem Thema zu tun?«
Ich sagte: »Mir wurde klar, daß es nur die mongolischen Nomadinnen sind, diejenigen, die ihr ganzes Leben im Freien verbringen, die von Sommersprossen gesprenkelt und verfleckt werden und eine dunkle, ledrige Haut haben. Die zivilisierteren mongolischen Damen hier bei Hof hingegen sind…«
»Nein, nein, nein«, rief Jamal-ud-Din. »Wir sprechen von den Flecken auf der Sonne.«
»Was? Flecken auf der Sonne?«
»Ja, in der Tat. Im allgemeinen ist der Staub, der hier bei uns zulande ständig von der Wüste herübergeweht kommt, eine Pest, aber ein Gutes hat er doch. Manchmal verschleiert er die Sonne in einem solchen Maße, daß wir sie direkt betrachten können. Wir haben zu mehreren und auch einzeln und häufig genug, um jeden Zweifel auszuschließen, gesehen, daß die Sonne gelegentlich von dunklen Flecken und Sprenkeln auf ihrer sonst leuchtenden Oberfläche verunziert wird.«
Lächelnd sagte ich: »Ich verstehe«, und begann dann wie erwartet zu lachen. »Ihr macht einen Scherz. Ich bin amüsiert, Meister Jamal. Doch meine ich in aller Menschenfreundlichkeit, wir sollten uns nicht auf Kosten dieser hilflosen Han lustig machen.«
Jetzt machte er ein womöglich noch verständnisloseres und verwirrteres Gesicht als zuvor und sagte: »Worüber reden wir jetzt?«
»Ihr macht Euch über ihr Sehvermögen lustig. Sonnenflecken, daß ich nicht lache! Die armen Kerle, es ist schließlich nicht ihre Schuld, daß sie so gemacht sind. Wo sie ohnehin schon ihr Leben lang durch die verengten Augenschlitze hindurchspähen müssen! Was Wunder, daß sie Flecken vor den Augen haben! Aber immerhin, ein guter Scherz, Meister Jamal.« Und mich auf persische Art verneigend, zog ich mich zurück.
Der Palastobergärtner wie der Palastobertöpfer waren Han; ein jeder von ihnen führte die Aufsicht über Legionen von jungen Han-Lehrlingen. Als ich sie aufsuchte, wurde mir daher wieder ein typisches Han-Spektakel darüber zuteil, wie viel Scharfsinn an etwas völlig Belangloses verschwendet wurde. Im Abendland werden derlei Aufgaben Untergebenen überlassen, die sich nichts daraus machen, wie schmutzig sie sich die Hände dabei machen, jedenfalls nicht Männer mit geschultem Geist, für die es wahrhaftig Besseres zu tun git. Doch der Palastgärtner und der Palasttöpfer schienen stolz darauf, ihren ganzen Scharfsinn, ihre Hingabefähigkeit und ihren Einfallsreichtum in den Dienst von Gartenkompost und Töpferton zu stellen. Und schienen nicht minder stolz darauf, eine ganze neue Generation von jungen Leuten auszubilden, auf daß sie sich ein Leben lang mit niedriger und schmutziger Handarbeit beschäftigten.
Der Arbeitsbereich des Palastgärtners war ein riesiges, ganz aus Moskowiter Glas errichtetes Gewächshaus. An etlichen langen Tischen darin hockten zahlreiche Lehrlinge über Kästen, die mit etwas angefüllt waren, das aussah wie die Brutknöllchen der Krokusblumen -und an diesen nahmen sie mit winzigen Messern irgend etwas vor.
»Das sind die Zwiebeln der Himmelslilie, die für die Pflanzung vorbereitet werden«, sagte der Gärtnermeister. (Als ich sie später in Blüte erlebte, erkannte ich in ihnen Blumen, die wir im Abendland Narzissen nennen.) Er hielt eine der trockenen Zwiebeln in die Höhe, zeigte darauf und sagte: »Bringt man an der Zwiebel zwei sehr präzise, winzig kleine Einschnitte an, wächst die Pflanze in einer Gestalt heran, die für unsere Begriffe bei dieser Blume ganz besonders reizvoll ist. Es werden nämlich zwei Stengel seitlich und auseinanderstrebend aus der Zwiebel
Weitere Kostenlose Bücher