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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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herauswachsen. Treiben die Keime jedoch Blätter, wölben diese sich wieder nach innen. Infolgedessen neigen die bezaubernden Blüten einander sich später zu wie Arme, die einander umschließen. So fügen wir der Schönheit der Blüte noch die Anmut der Linienführung hinzu.«
    »Eine bemerkenswerte Kunst«, murmelte ich und enthielt mich der Bemerkung, das Ganze viel zu belanglos zu finden, als daß es wichtig wäre, so viele Menschen damit zu beschäftigen.
    Die genauso großen Werkstätten des Palasttöpfers waren in den Kellerräumen des Palastes eingerichtet und wurden von Lampen erhellt. Hier wurde nicht grobes Steinzeug hergestellt, sondern feinste Porzellankunstwerke. Er zeigte mir seine Behältnisse mit den verschiedenen Tonsorten, die Gefäße zum Anmischen sowie Töpferscheiben und Brennöfen und Töpfe mit Farben und Glasuren, die, wie er mir versicherte, nach Geheimrezepten angerührt wurden. Dann führte er mich an einen Tisch, an dem ein rundes Dutzend seiner Lehrlinge arbeitete. Ein jeder hatte eine fertig geformte porzellanene Vase vor sich stehen, überaus elegante Gefäße mit bauchigem Hauptteil und hochgezogenem, schmalem Hals, alles freilich noch in der Farbe des ungebrannten Tons. Jetzt waren die Lehrlinge dabei, sie vor dem Brennen noch zu bemalen.
    »Warum sind denn die Pinsel der Jungen alle zerbrochen?« fragte ich, denn jeder der jungen Männer handhabte einen feinen Haarpinsel, der in der Mitte des langen Stils unverkennbar einen Knick aufwies.
    »Sie sind nicht zerbrochen«, sagte der Töpfermeister. »Die Pinsel weisen nur einen bestimmten Winkel auf. Diese Lehrjungen bemalen die Innenseite der Vase mit Mustern aus Blumen, Vögeln, Schilf -allem möglichen, und zwar kunstvoll nach Gefühl, nur vom Instinkt geleitet. Ist die Vase fertig, wird die Verzierung unsichtbar sein, es sei denn, man hielte sie gegen das Licht, dann wird das bunte Bild durch das hauchdünne Porzellan hindurch ganz fein und verschwommen sichtbar.«
    Er führte mich an einen anderen Tisch und sagte: »Das hier sind die jüngsten Lehrjungen, die gerade in die Anfangsgründe ihrer Kunst unterwiesen werden.«
    »Welcher Kunst?« sagte ich. »Sie spielen doch nur mit Eierschalen.«
    »Richtig. Leider kommt es vor, daß Porzellangegenstände von großem Wert manchmal entzweigehen. Diese Jungen lernen, sie wieder zu reparieren. Aber selbstverständlich üben sie nicht mit wertvollen Gegenständen. Ich nehme ausgeblasene Eierschalen, zerbreche diese und gebe jedem Jungen die durcheinandergemischten Schalen von zwei Eiern. Seine Aufgabe besteht jetzt darin, die Bruchstücke auseinanderzusortieren und die beiden Eierschalen wieder zusammenzusetzen. Er fügt die Schale mit Hilfe dieser winzigen messingenen Nieten wieder zusammen, die Ihr hier seht. Erst wenn einer es schafft, ein ganzes Ei so kunstvoll wieder zusammenzusetzen, daß es aussieht, als wäre es nie zerbrochen, wird ihm die Arbeit an richtigem Porzellan anvertraut.«
    Nirgendwo in der Welt hatte ich so viele Beispiele von fähigen Männern erlebt, die ihr Leben daran hängten, soviel Finger
    spitzengefühl erfordernde Fähigkeiten zu erwerben, ihre hohe Intelligenz in den Dienst von so banalen Zwecken stellten und gewaltiges Können und immensen Fleiß auf so Dürftiges richteten. Und zwar nicht nur unter den Handwerkern und Künstlern bei Hofe. Derlei Dinge erlebte ich selbst unter den Ministern, welche die obersten Ränge der Khanat-Verwaltung bekleideten.
    Der Minister für Geschichte, zum Beispiel, war ein gebildeter und außerordentlich gelehrt aussehender Han, der viele Sprache beherrschte und nicht nur die Geschichte des Orients im Kopf gespeichert hatte, sondern die des Abendlandes obendrein. Trotzdem war er nur damit beschäftigt, höchst überflüssige Dinge zu tun. Auf die Frage, womit er sich im Augenblick befaßte, stand er von seinem Schreibpult auf, öffnete die Tür seines Arbeitsraums und zeigte mir einen dahinter gelegenen, weit größeren Raum. Darin standen dicht an dicht viele Schreibpulte und darüber gebeugt Schreiber emsig bei der Arbeit. Auf jedem Pult lagen stapelweise Bücher und Schriftrollen und Dokumente, daß man die Schreiber dahinter kaum erkennen konnte.
    In vollendetem Farsi sagte der Geschichtsminister: »Der Khakhan Kubilai hat vor vier Jahren dekretiert, mit seiner Regierung beginne eine neue Dynastie, welche die Regierungen aller seiner Nachfolger umfasse. Der Name, den er für diese Dynastie auswählte, Yuan, bedeutet

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