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Marco Polo der Besessene 2

Marco Polo der Besessene 2

Titel: Marco Polo der Besessene 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Jennings
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respektvollen Verneigungen seine Gemächer. Nun, für mich war das nur eine Begegnung mit Hanschem Scharfsinn unter vielen, die mich daran zweifeln ließen, daß sie wirklich so scharfsinnig waren, wie es immer hieß.
    Doch bei einem ähnlich verlaufenden Gespräch mit dem Hofastronomen im Palastobservatorium konnte ich mich etwas besser behaupten. Das Observatorium lag auf einer hohen und nicht überdachten Terrasse, die mit gewaltigen und höchst verzwickten Instrumenten übersät war, mit Armillarsphären, Sonnenuhren, Astrolabien und Alhidaden, die samt und sonders wunderschön aus Messing und Marmor gefertigt waren. Der Hofastronom, Jamal-ud-Din, war Perser und deshalb dazu ernannt worden, weil all diese Instrumente, wie er mir sagte, schon vor Generationen in seiner Heimat ersonnen worden waren und er infolgedessen am besten damit umzugehen verstand. Er war der Oberste eines halben Dutzend Unterastronomen, und diese wiederum waren samt und sonders Han, weil, wie Meister Jamal sagte, die Han länger als alle anderen Völker gewissenhafte Aufzeichnungen aller ihrer astronomischen Beobachtungen gemacht und aufbewahrt haben. Jamal-ud-Din und ich unterhielten uns auf farsi, und er dolmetschte die von seinen Kollegen gemachten Bemerkungen.
    Freimütig räumte ich ein: »Meine Herren, das einzige, was man mir in der Astronomie je beigebracht hat, war die biblische Geschichte, in der der Prophet Josua in dem Wunsch, eine Schlacht um einen Tag zu verlängern, die Sonne in ihrem Lauf über das Himmelsgewölbe stehenbleiben ließ.«
    Durchdringend sah Jamal mich an, doch dann wiederholte er meine Worte den sechs bereits etwas älteren Han-Herren. Diese nun schienen plötzlich entweder in helle Aufregung versetzt oder völlig verwirrt, denn sie redeten erregt miteinander und legten mir dann eine Frage vor, indem sie höflich sagten: »Die Sonne in ihrem Lauf innehalten, sagtet Ihr, das habe dieser Josua gesagt? Hochinteressant. Wann ist das geschehen?«
    »Ach, schon vor langer, langer Zeit«, sagte ich. »Als die Israeliten gegen die Amoriter kämpften. Etliche Bücher, ehe Christus geboren wurde und die Zeitrechnung einsetzt.«
    »Wirklich hochinteressant«, wiederholten sie, nachdem sie sich noch eine Weile untereinander besprochen hatten. »Unsere astronomischen Unterlagen, das Shu-king, geht über dreitausendfünfhundertundsiebzig Jahre zurück, verzeichnen aber nicht im mindesten ein solches Vorkommnis. Man sollte meinen, daß ein kosmisches Ereignis dieser Art selbst dem einfachen Mann auf der Straße irgendwelche Kommentare entlockt hätte, von den Astronomen dieser Zeit ganz zu schweigen. Meint Ihr, daß es noch länger zurückliegt?«
    Die ernsten Herren waren offensichtlich bemüht, sich nicht ihre Bestürzung anmerken zu lassen, daß ich mehr von historischer Astronomie wußte als sie, und so besaß ich die Freundlichkeit, das Thema zu wechseln.
    »Wenngleich es mir an formaler Ausbildung in Eurem Beruf fehlt, meine Herren, neugierig bin ich allemal. Auch habe ich selbst den Himmel schon häufig beobachtet und mir von daher ein paar eigene Theorien zurechtgelegt.«
    »Was Ihr nicht sagt!« sagte Jamal, um dann, nachdem er sich mit den anderen beraten hatte, fortzufahren: »Es wäre uns eine Ehre, sie anzuhören.«
    Und so setzte ich ihnen mit geziemender Bescheidenheit, aber ohne unredliche Ausflüchte eine Schlußfolgerung auseinander, zu der ich gekommen war: daß nämlich Sonne und Mond der Erde auf ihrer Umlaufbahn am Morgen und am Abend näher stehen als zu jeder anderen Stunde.
    »Das ist leicht zu erkennen, meine Herren«, sagte ich. »Ihr braucht die Sonne ja nur beim Auf-und Untergehen zu beobachten. Oder noch besser: Beobachtet das Aufgehen des Mondes, denn das läßt sich verfolgen, ohne daß die Augen geblendet werden. Während er hinter der anderen Seite der Erde aufsteigt, ist er immens. Doch im Aufsteigen wird er kleiner, bis er am Zenith nur noch ein Bruchteil seiner früheren Größe besitzt. Ich habe dieses Phänomen viele Male beobachtet, wenn ich zugesehen habe, wie der Mond hinter der Lagune von Venedig aufging. Offensichtlich entfernt dieser Himmelskörper sich auf seiner Umlaufbahn immer weiter von der Erde. Die einzige andere Erklärung, die für sein Kleiner-Werden denkbar ist, wäre, daß er in seinem Lauf schrumpft, und das anzunehmen wäre doch wohl töricht.«
    »Töricht, wohl klar!« brummte Jamal-ud-Din, und seine Unterastromomen schüttelten feierlich den Kopf. Sie schienen tief

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