Marcos Verlangen
er den Zeigefinger unter ihr Kinn legte und sie so zwang, den Kopf wieder zu heben. „Sieh mich an! Bitte!“
Seine Stimme klang sanft, also gehorchte sie.
„Ella - schämst du dich deswegen?“
„Nein.“ Sie verzog den Mund ein wenig dabei – eine kleine Bewegung nur, die ihm aber sagte, dass sie ihn beschwindelte.
„Dann versuch mal, dich an den Gedanken zu gewöhnen, hm?“, ermunterte er sie. „Aber - geht das vielleicht auch während des Essens?“, lenkte er sie nun bewusst vom Thema ab.
Sie sah ihn irritiert an, während er wieder einen Schritt zurück trat, allerdings ohne ihr Handgelenk loszulassen.
„Ich denke schon. Angeblich sollen wir Frauen ja multitaskingfähig sein.“
Ihr Lachen klang noch etwas unsicher, doch sie atmete auf und entkrampfte sich ein wenig.
„Dann lass uns gehen, ehe meine Mittagspause wieder vorbei ist“, mahnte er sie nun und fasste sie bei der Hand. „Komm, wir entspannen uns jetzt erst mal ein bisschen und unterhalten uns wie zwei wohlerzogene, erwachsene Menschen, okay?“
„Ist gut“, stimmte sie zu und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn die Härte seines momentanen Verzichts schon fast wieder vergessen ließ. „Wohin gehen wir“?
„Was hältst du von unserer Trattoria?“
„Wir haben schon eine eigene Trattoria?“, ging sie auf seinen scherzhaften Ton ein.
„Natürlich. Alle Pärchen, oder solche die eins werden wollen, haben eine eigene Trattoria und ein eigenes Lied. Wusstest du das denn nicht?“
„Ich bin wohl tatsächlich etwas aus der Übung, und zwar mit allem“, gestand sie leise, als sie ihm mit noch immer unsicheren Schritten zu seinem Auto folgte.
Am Tag darauf sagte sie per SMS ihr geplantes Treffen ab. Sie sei erkältet und habe ihre Stimme verloren. Es täte ihr leid. Seine Anrufe beantwortete sie nur schriftlich mit fast immer demselben Wortlaut.
Sie schrieb ihm, dass sie nicht reden könne, weil sie vollkommen heiser sei und dass es daher keinerlei Sinn mache, zu telefonieren. Das las er an jedem dieser Tage mindestens fünf Mal, denn mindestens so oft rief er sie an.
Nach drei Tagen kochte Marco innerlich vor Wut.
Immerhin schrieb sie ihm am vierten Tag endlich eine etwas längere Email, die ihn wieder einigermaßen mit ihr und der Welt versöhnte. Darin schilderte sie ihm in dürren Worten ihre Rachenentzündung, ihre Fieberschübe und die damit einhergehende körperliche Schwäche und versicherte ihm, dass sie ihn anrufen werde, sobald sie dazu in der Lage sei. Dass sie ihn um Verständnis bitte, wenn sie ihn in dieser Verfassung nicht sehen wolle, dass sie sich dazu momentan aber einfach nicht imstande fühle.
Als Marco das Wort ‚Fieberschub’ las, geriet er beinahe in Panik.
„Du gibst mir jetzt sofort deine Adresse“, schrieb er eilig zurück, „damit ich dir wenigstens meinen Hausarzt vorbeischicken kann, wenn du schon von mir nichts wissen willst.“
Das sei nicht nötig, teilte sie ihm mit, sie sei ärztlich gut versorgt und nehme brav ihre Medikamente.
Danach folgte ein weiterer Tag des Schweigens und Marco war kurz vor dem Durchdrehen. Seine Nervosität und seine finstere Miene fielen sogar seinen beiden Vorzimmerdamen auf, die sich allerdings höflicherweise jede Bemerkung dazu verkniffen und stattdessen nur hin und wieder vielsagende Blicke wechselten.
Endlich, am fünften Tag nach ihrer letzten Begegnung, läutete sein Telefon und ihr Name erschien auf dem Display.
Sie klang müde und war noch immer hörbar heiser.
„Hallo Marco, ich bin’s!“ Die Stimme schien nicht ihre zu sein, sie klang ihm merkwürdig fremd in den Ohren.
„Ella!“ Vor Erleichterung wusste er im ersten Moment gar nicht, was er ihr sagen sollte. Sein Gehirn war plötzlich wie leer gefegt. „Was zum Teufel machst du da für Sachen?“
Sie lachte rau auf. „Keine Ahnung. Offensichtlich bin ich schon zu alt dafür, um noch an schattigen Straßenecken herumzuknutschen.“
„Was?“ Er brauchte einen Moment um zu realisieren, dass sie auf das Treffen mit ihm angespielt hatte. „Oh“, machte er dann schuldbewusst.
„Nein, keine Sorge, das war es wohl nicht“, beruhigte sie ihn nun hörbar belustigt. „Der Arzt hat gesagt, dass da ein Virus unterwegs sei, den habe ich mir wohl versehentlich eingefangen.“
„Geht es dir denn jetzt wenigstens wieder besser?“, erkundigte er sich mitfühlend. „Das Fieber ist weg?“
„Ja, das Fieber ist weg. Das war das Unangenehmste daran, weil es mich so fürchterlich
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