Marcos Verlangen
Ella gegenüber nie zugegeben hätte war die simple Tatsache, dass seine ganze dominante Fassade unter ihrem Stöhnen und ihren Liebkosungen bereits mehr als ins Wanken geraten war. Er war süchtig nach ihr und sie ließ alle seine guten Manieren, seine Prinzipien und seine ganze Selbstbeherrschung einfach in Rauch aufgehen. Andererseits hatte er auch noch nie in seinem Leben eine derart tiefe Befriedigung erlebt. Dieses Gefühl, dass sie ganz ihm gehörte, und nur ihm – er schloss genüsslich die Augen.
Marco hatte in den letzten fünfzehn Jahren einige Frauen kennen gelernt, aber Ella war natürlicher und herzlicher als sie alle zusammen. Sie strahlte eine Wärme aus, die er in seinem perfekten, straff durchorganisierten Leben bisher nicht empfunden hatte. Er hatte nicht einmal gewusst, dass ihm diese Wärme fehlte. Jetzt wusste er es. Und sie fehlte ihm sogar sehr…
Gelegentlich beobachtete er Ella, so als böte sie ihm dadurch irgendwie eine Antwort auf seine Fragen. Immer dann, wenn sie ganz in sich selbst versunken war und nicht auf ihn achtete, schenkte er ihr seine volle Aufmerksamkeit. Dann, wenn sie am echtesten war, unverfälscht und ungekünstelt. So wie gerade an diesem Abend - sie hatte sich ohne Umschweife zu Renata in die Küche begeben und gegen deren halbherzige Abwehr einfach mitgeholfen, das Abendessen vorzubereiten. Sie hatte aufmerksam und voller Konzentration den Anekdoten gelauscht, die Gino nach drei oder vier Gläschen Wein zum Besten gegeben hatte und hatte herzhaft über dessen etwas altmodische Witze gelacht. Hatte es sich auch anschließend wieder nicht nehmen lassen, Renata sowohl beim Abräumen als auch beim Spülen der Töpfe zu helfen. Ihre herzliche Art, mit seinen Freunden umzugehen, hatte ihm sehr imponiert. Ella hatte diesen einfachen Menschen gegenüber nicht den Hauch von Arroganz oder dergleichen gezeigt, sie war einfach nur umwerfend liebenswert gewesen, und tatsächlich hatten die beiden sie sofort in ihr Herz geschlossen.
Marco versuchte, die leichte Beklemmung abzuschütteln, die unvermittelt nach ihm griff, indem er tief Luft holte und sich aufrecht in den Sessel setzte. Ihm war nicht recht geheuer, dass sein Bedürfnis, sie zu besitzen, in den letzten Tagen so überhandgenommen hatte. Er glaubte nicht an Zufälle und er war nicht abergläubisch. Trotzdem hatte er es als sehr schicksalhaft empfunden, ihr zweimal „zufällig“ begegnet zu sein, vor allen Dingen deshalb, weil er sich tatsächlich bereits im Flugzeug beim ersten Blick in ihre warm funkelnden, bernsteinfarbenen Augen in sie verliebt hatte. Leider hatte er einen dringenden Termin einhalten müssen, sonst hätte er sie niemals so plump angemacht und danach einfach mit seiner Visitenkarte in der Hand gehen lassen.
Wie leicht hätte er sie für immer aus den Augen verlieren können! Entgegen seiner vollmundigen Aussage ihr gegenüber, dass er sich vollkommen sicher gewesen sei, sie wiederzusehen, hatte die Wahrscheinlichkeit absolut gegen ihn gestanden. Doch siehe da – das Schicksal hatte ihm Recht gegeben und sie tatsächlich noch einmal zu ihm geführt.
Er biss die Zähne aufeinander – er hatte einfach verdammtes Glück gehabt, wenn auch vielleicht unverdient.
Er seufzte. Manche Fragen würde er auch in dieser Nacht nicht beantworten können – und einige wollte er auch nicht beantworten. Ella hatte sich voll und ganz in seine Hände begeben, das war mehr, als er anfangs hatte hoffen können. Sie hatte sich im Bett mehr auf ihn eingelassen als auf jeden anderen Mann bisher, das wusste er mit Sicherheit, und sie hatte sich mit ihren Eltern überworfen, um für ihn zu arbeiten. Mehr konnte er nicht erwarten, das sagte ihm seine Vernunft.
Etwas jedoch, was er nicht greifen konnte, etwas Dunkles, Drängendes verborgen in den Tiefen seiner Seele, verlangte trotzdem mehr.
Noch mehr.
Viel, viel mehr...
Auf Messers Schneide
Ella stand der Verzweiflung nahe vor ihrem Kleiderschrank.
Warum nur hatte sie sich von Marco dazu überreden lassen, ihn an diesem Abend in die Oper zu begleiten? Sie hatte nichts Passendes anzuziehen, das hatte sie ihm mehrmals deutlich zu machen versucht, und irgendwie fühlte sie sich derzeit auch noch überfordert bei dem Gedanken, mit seinen Freunden konfrontiert zu werden. Auch das hatte sie ihm gesagt. Dieses Argument hatte er mit einer lässigen Handbewegung aus der Welt gefegt.
Als es klingelte, sah sie verzweifelt auf die Uhr. Er war eine halbe
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