Marcos Verlangen
Moment schwor Marco sich, sie nicht zu enttäuschen…
„Hier sind wir also.“
Vor Ella schwang eine große, doppelflügelige Holztür mit verspielt vergoldeten Schnitzereien auf und gab den Blick frei in ein überwältigendes Dachgeschoss. Marco hatte sie in das oberste Stockwerk seiner Landvilla gebracht, damit sie sich wenigstens einen ersten Überblick über die hier vorhandenen Gegenstände verschaffen konnte. Der Anblick ließ ihr den Atem stocken.
Die niedrigen, aber lichten Räumlichkeiten waren in längst vergangenen Jahren die Wohnräume des Gesindes und der Dienerschaft gewesen. Die letzten drei Generationen der Familie Mingoni hatten hier die Ergebnisse ihrer Sammelleidenschaft gehortet. Irgendein akribischer Vorfahre hatte sich einmal die Mühe gemacht und die Objekte wenigstens grob sortiert und je nach verwendeter Technik in verschiedenen Dachräumen untergebracht, so dass man die Zimmer mit den Skulpturen und dem Porzellan nicht nur geistig geschlossen halten konnte, sondern sie auch de facto nicht betreten musste, wenn man nicht wollte. Dicht aneinander gereiht standen nebenan unzählige Ölgemälde in Reih und Glied. Mehrere Tische waren übersät mit Zeichnungen, Aquarellen, Drucken und Lithografien.
Völlig überwältigt hielt Ella den Atem an.
„Aber – wie soll ein einzelner Mensch das alles nur jemals bewältigen?“
Marco wandte sich mit einem zufriedenen Lächeln zu ihr um. „Siehst du nun, dass ich dir nicht zu viel versprochen habe? Das ist eine Lebensaufgabe, hier wirst du für die nächsten Jahre zu tun haben.“
Sie schluckte. So aufwendig hatte sie sich das nicht vorgestellt. Nun aber fing sie an zu begreifen, dass Marco, wenn er den Bestand sichten, erfassen und schätzen lassen wollte, tatsächlich jemanden brauchte, der sich dieser Mammutaufgabe nicht nur ein wenig nebenbei annahm, sondern sich voll und ganz darauf konzentrierte.
Eine zaghafte Freude glomm in ihr auf. Verstohlen warf sie ihm einen Blick von der Seite zu, doch er bemerkte es und zwinkerte ihr zu.
„Nun?“
„Ich bin – schlichtweg überwältigt! Ich habe noch nicht die geringste Ahnung, wo ich überhaupt anfangen soll, aber ich glaube, das könnte mir tatsächlich gefallen.“
„Was interessiert dich denn am meisten?“, kam er ihr entgegen.
Sie überlegte kurz. „Bilder“, antwortete sie dann. „Am meisten interessieren mich Bilder, egal worauf sie gemalt sind. Leinwand, Papier, Karton, Holz – das spielt keine Rolle.“
Marco machte eine weit ausholende Geste und lachte wieder dieses zufriedene, leise Lachen, das Ella eine Gänsehaut bescherte, weil es sie so sehr an ihre intimen Stunden erinnerte.
„Hier kannst du dich austoben, hier kannst du dich verwirklichen. Lass dir Zeit, mach dir einen Plan. Überlege dir, wie und womit du beginnen möchtest und dann setze es langsam um, gerade wie es dir gefällt.“
Sie dachte kurz nach. Sie konnte sich tatsächlich erst einmal nur den Gemälden und Zeichnungen widmen. Später konnte sie dann weitersehen, aber sie durfte sich für den Anfang nicht sofort in der schieren Menge und Vielfalt an Objekten und Kunstwerken verlieren.
Sie stand noch immer fassungslos staunend vor ihm. Ein zaghaftes Lächeln spielte um ihren Mund. „Wie es mir gefällt“, wiederholte sie.
Marco erkannte ihre Verblüffung und nahm sie lachend in den Arm. „Du bist hier dein eigener Herr und keiner sagt dir, was du tun oder lassen sollst. Solange du mir nicht die Zeichnungen schredderst oder mit den Ölgemälden den Kamin anheizt, kannst du absolut tun und lassen, was immer du möchtest.“ Dann schob er sie sanft wieder von sich. „Ich habe außerdem noch eine kleine Überraschung für dich – komm mit.“
Neugierig folgte sie ihm in einen angrenzenden Raum, in dem ein großer, schwerer Holztisch stand, der überraschenderweise nicht von Zeichnungen bedeckt, sondern im Gegenteil sehr ordentlich aufgeräumt war. Darauf lag eine flache, schwarze Ledertasche. Ella sah ihn fragend an.
„Das ist für dich. Du brauchst ja schließlich auch dein Handwerkszeug, da dachte ich, so etwas könnte bestimmt nicht schaden.“
Seinem aufforderndem Nicken Folge leistend trat sie näher und öffnete den Reißverschluss der Tasche. Darin lag ein elegantes, metallisch-blau funkelndes Notebook. Ella schnappte nach Luft und fuhr zu ihm herum.
„Marco!“
„Ich habe mir versichern lassen, das sei das Modernste, was derzeit auf dem Markt zu finden ist“, er zuckte
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