Marcos Verlangen
der Vormittag und über Pastell, Farben- und Leinwandherstellung sowie einem kleinen Exkurs in die Welt der natürlichen Pigmente vergingen die Stunden wie im Flug.
Nachdenklich folgte Ella ihren Kursmitgliedern zum Abendessen. Es war ein bunt gewürfelter Haufen von lauter jungen Leuten. Insgesamt waren sie zu siebt und sie empfand die niedrige Anzahl als sehr angenehm. Sie hatte zwischendurch ihre Zweifel gehabt, ob die Idee wirklich so gut war, die sie dazu gebracht hatte, sich ausgerechnet zu diesem Mal- und Zeichenkurs anzumelden, doch als sie mit ihrer Tante gesprochen und deren Freude darüber gespürt hatte, dass sie kommen und ein paar Tage bei ihr bleiben würde, hatte sie nun doch keinen Rückzieher mehr machen wollen.
Ella seufzte. Sie sehnte sich unsäglich nach Marco, doch der hatte ihr immerhin fest versprochen, sie am Wochenende abzuholen und mit ihr ans Meer zu fahren. Und vielleicht hatte sie ihm dann ja sogar schon etwas von der, wie sie es scherzhaft nannte, „Dante-Front“ zu berichten. Noch war sie nicht sicher, wie sie ihr Manöver anstellen sollte – ihr Dozent kam ihr ein wenig verwirrt vor, aber was wusste sie denn schon über Lampenfieber, wenn man zu Beginn eines neuen Kurses vor einer Gruppe fremder Menschen stand.
Während sie noch über ihn nachgrübelte, sah sie Angelo Dorsini mit einem Tablett in der Hand in einem der Nebengebäude verschwinden. Offensichtlich aß er allein, das erschwerte ihre Absicht. Beim Essen ließe es sich unbefangen plaudern und sie könnte ihm unverfängliche Fragen stellen. Wenn sie auch aus einem unerfindlichen Grund bezweifelte, dass er ihr wesentlich weiter helfen würde.
Nach dem Essen ging sie in die Küche, um ihrer Tante Gesellschaft zu leisten. Vielleicht konnte sie hier schon mal vorfühlen und ein paar nützliche Informationen sammeln.
Antonella zwinkerte ihr zu, als sie eintrat.
„Hallo mein Schatz, hat es dir geschmeckt?“
Ella nickte wahrheitsgemäß. Die einfache und bodenständige Küche ihrer Tante war für sie unübertroffen. „Ein schöner, starker caffè wäre jetzt recht!“ Mit diesen Worten ließ sie sich auf einen Stuhl fallen. „Oh je Antonella, ich habe mal wieder zu viel gegessen.“
„Du kannst es vertragen, also zier dich nicht so! Und dein Marco wird es ja wohl auch schätzen, etwas in der Hand zu haben, oder?“
„Oh ja, allerdings“, lachte sie. Sie war bei der Schilderung ihrer neuen Flamme der Tante gegenüber nicht ins Detail gegangen, doch diese hatte sich anhand ihres Tonfalls und der funkelnden Augen ein eigenes Bild von der Lage und dem aktuellen Verehrer gemacht.
„Na also! Hier, dein caffè.“
„Danke!“ Sie schlürfte langsam das starke, schwarze Gebräu.
„Und? Wie findest du euren Lehrer?“, wollte Antonella nun wissen. „Er ist nett, oder?“
„Ja, ist er! Ein bisschen schlecht gelaunt vielleicht, aber ansonsten scheint er in Ordnung zu sein.“
„Ist mir auch schon aufgefallen, dass er dieses Jahr keine besonders gute Laune hat, wer weiß warum.“
„Kennst du ihn denn schon länger?“
„Uh! Was heißt hier länger?“ Antonella machte eine vielsagende Handbewegung, die wohl sagen wollte, dass sie ihn so gut kannte wie kaum ein anderer Mensch. Ella grinste.
„Dann erzähl mal.“
„Also…“, legte Antonella los…
Angelo Dorsini hielt seit sechs Jahren seinen Kurs in ihrem Bed&Breakfast ab, und er war schnell auch außerhalb dieser vier Wochen im Jahr ein gern gesehener Stammgast geworden. So kam es, dass er sich schon bald dazu entschlossen hatte, ein leer stehendes Nebengebäude zu mieten und sich dort eine kleine Bleibe einzurichten.
„Das ist so eine Mischung aus Atelier und Appartement, und er scheint sich hier wirklich wohl zu fühlen“, fuhr sie fort. „Normalerweise isst er ja mit seiner Gruppe, aber heute hat er mir gesagt, dass er dieses Mal während des ganzen Kurses alleine bei sich zu Hause essen will. Na, mir soll’s recht sein, er ist ein ruhiger, angenehmer Geselle und ich mag ihn gern. Ich hab ihn allerdings noch nie ein echtes Bild malen sehen“, fügte sie etwas zusammenhanglos hinzu und erzählte dann weiter.
So erfuhr Ella, dass Angelo wohl Kunstunterricht an verschiedenen Schulen im Landkreis gab, dass er ursprünglich aus Venedig stammte, dass er sich mit seinem Vater überworfen hatte und dass er ausnahmslos alle seine Ferien hier in seinem Refugium verbrachte, wie er das kleine Häuschen nannte.
„Er hat allerdings erst neulich
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