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Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann

Titel: Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Wieninger
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Lichtschalter am Beginn der Kellertreppe nicht hatte betätigen müssen. Die Unterwelt war hell erleuchtet wie eine Hollywood-Dekoration. Am Fuß der Treppe hörte ich von links eine fröhliche Stimme mit unzweifelhaft böhmischem Akzent: „Werden mal schauen. Hat ein Doktor das Nämliche im Kopf? Das Nämliche wie unsereins?“
    Niemand antwortete.
    „Werden mal schauen“, ließ sich die Stimme noch einmal vernehmen.
    Ich hatte nur wenige Minuten. Salome Zenz hatte sicherlich schon längst das Überfallkommando alarmiert. Auf jeden Fall hatte ich keine Zeit, in der Unterwelt Verstecken zu spielen. Selbst wenn es der schreckliche Fährmann Charon sein sollte, der da monologisierte. Ich wandte mich nach links.
    Der Kellergang lief auf eine geöffnete Tür zu. Ich blickte in einen blendend hell erleuchteten Raum, der den Charme eines Bahnhofspissoirs hatte und auch danach aussah. Statt der Pissoirmuscheln bildeten allerdings drei lange, rechteckige Tische aus Aluminium das Inventar. Auf jedem der Tische war eine Leiche ‘angerichtet’, und es roch unbeschreibbar schlecht. Meine Nasen- und Mundschleimhäute waren mit einem Mal so paralysiert, daß ich im Moment den Unterschied zwischen einer Gulaschsuppe und einem Pfefferminztee wohl nicht geschmeckt oder gerochen hätte. Charon - ein großer, glatzköpfiger Pathologiegehilfe im grauen Kittel eines Magazineurs oder Hausmeisters - schnitt gerade durch Kopfschwarte und Haupthaar einer nackten, männlichen Leiche, die vor ihm auf dem ersten Seziertisch lag. Es war ein flinker Schnitt von einem Ohr zum anderen.
    „Dobry den“, sagte ich: „Ich bin Dr. Miert vom Lorenz-Böhler-Unfallkrankenhaus. Zur Hospitation hier. Zu Studienzwecken.“
    „Dobry den“, antwortete der Pathologiediener und zog den klaffenden Schnitt mit beiden Händen kräftig auseinander: „Ich bin Otla. Der ist auch ein Doktor, Herr Doktor.“
    Das hier war die Vorhölle. Und Otla hatte Lachfalten, schnapshelle Augen und Büschel von Haaren in seinen Ohren. Die vordere Hälfte der Kopfhaut legte er über das Gesicht der Leiche, die hintere Hälfte zog er bis zum Nacken herunter. Der ganze Schädelknochen lag damit frei, nur das Gesicht war noch von Haut bedeckte.
    „Primarius Salek hat mir ein kleines Consilium versprochen. Zu Studienzwecken. Interessanter Korpus. Emma Holzapfel heißt die Leiche.“
    Otla griff zu einem runden Sägeblatt und spannte es auf einen Kolben.
    „Haben wir natürlich, Herr Doktor.“
    Er schaltete die elektrisch betriebene Rundsäge ein. Das Sägeblatt von circa zehn Zentimeter Durchmesser rotierte frei und rasend schnell.
    „Wo, Herr Otla?“
    „Na, hier.“ Mit der rotierenden Säge deutete er hinter sich zum zweiten Seziertisch.
    „Was dagegen, wenn ich mit dem Consilium schon mal beginne? Der Herr Primarius kommt sicher gleich!“
    „Otla muß noch öffnen drei Brustkörbe und drei Schädel. Damit Primarius sich nicht so plagt.“
    Ich konnte von Glück sagen, daß sich Charon als fröhliches Wesen mit einem Intelligenzquotienten von 75 erwiesen hatte und mich daher ungehindert schalten und walten ließ. Denn bei meinem Rendezvous mit Emma Holzapfel hieß es: Jetzt oder nie.
    Ich ging um Otla herum und trat an den zweiten Seziertisch heran, auf dem eine zierliche, circa sechzig Jahre alte Frau lag. Sie lag auf dem Rücken, aber ihrem Gesicht war kein Ausdruck, nichts, einfach nichts mehr zu entnehmen. Blutiger, schwarzer Schorf bedeckte es vom Kinn bis zum Haaransatz. Emma Holzapfel mußte, nachdem sie vom Wagen ihres Mörders niedergestoßen worden war, mit dem Gesicht auf dem Asphalt aufgeschlagen sein. Dieses Gesicht war jetzt eine einzige großflächige Schürfwunde. Und wenn es meine eigene Mutter gewesen wäre, ich hätte sie nicht erkannt.
    Otla hatte ihr den Schädel noch nicht geöffnet und auch den Brustkorb nicht, denn das graue, hochgeschlossene Kleid und der Kunstfellmantel, die sie trug, waren manierlich zugeknöpft. Der Mantel war an einigen Stellen abgesengt von der Reibungshitze des Asphaltes.
    Otla drang mit dem rotierenden Sägeblatt in den Schädelknochen. Sofort stank es nach verglosenden Haaren oder in der Reibungshitze verschmorender Knochenmasse. Er war derart beschäftigt, daß ich es hinter seinem Rücken wagte, die kindlich leichte Leiche der Emma Holzapfel auf den Bauch zu drehen.
    Otla hatte jetzt die Schädeldecke in einem Kreis angeschnitten. Er legte die Säge weg und quarrte mit einer Art Spachtel die Kalotte auf. Das Gehirn

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