Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
Wagenschlag öffnete, brach die olfaktorische Hölle los - Buttersäure! Jemand hatte so viel Buttersäure ins Wageninnere geschüttet, daß selbst dem abgebrühtesten Stinktier schlecht geworden wäre. Jemand - möglicherweise der gute, alte Wotan - konnte mich überhaupt nicht riechen.
Gegen Buttersäure wäre selbst Attila der Hunnenkönig machtlos gewesen, tröstete ich mich und ließ den unbenützbaren Granada stehen. Ich sperrte ihn nicht ab, denn das wäre ziemlich überflüssig gewesen.
„Weißer Ford Granada. H*3064 B. Steht zwei Häuser von hier vor der Peepshow. Ich wette, daß Sie ganz begierig darauf sind, den kleinen Stinker einmal kräftig auszuputzen.“ Damit zückte ich einen von Saleks großen Scheinen und legte ihn ganz sachte auf den Ladentisch.
„Schätze, die Wette haben Sie gewonnen“, meinte das Wäschermädel.
XV
Ich nahm die Eisnerstraße in Richtung Norden unter die Füße.
Alle hundert Schritt kam ich an einer Lottoannahmestelle vorbei. Wer in dieser Straße wohnte, konnte wohl nur mit viel Glück wieder von hier wegkommen. Ich ging an kleinen, schäbigen Läden vorbei, wo man gebrauchte Babysachen und zerlesene Bastei-Romane verscherbeln konnte, an schmierigen Imbißstuben, in denen das Fritierfett vom Vorvorjahr noch immer verwendet wurde, an diskreten Immobilienbüros, die so diskret waren, daß sie gleich zwei oder mehr Hinterausgänge besaßen, an den unvermeidlichen Sexshops, die schon Weihnachtsdekorationen made in Hongkong in den Schaufenstern hatten, und an Budiken, wo man für wenig Geld sein Hirn in Schnaps ertränken konnte. Das ganze Viertel war so billig wie ich selbst.
Im diesigen Novemberlicht tauchte schließlich die Silhouette des Krankenhauskomplexes auf, acht Stockwerke und der Schornstein der Verbrennungsanlage, wo die amputierten Beine und Organe, die blutigen, eitrigen Verbände, Spritzen und die Embryonen bei 800 Grad in den Lüften begraben wurden.
Der Portier bedachte mich mit einem mißmutigen Lächeln und - Saleks Name wirkte - ließ mich durch.
Auf dem Giebel des Pathologie-Pavillons tanzte die Klimtsche Salome noch immer ihren tödlichen Tanz. Das war es, was die alten Meister verstanden hatten: daß die Zeit nämlich stillsteht, sich auflöst, verwest vor dem großen, dem letzten Schlag.
Hier hatte der Tod sein Reich, und im Zentrum dieses Reiches saß eine viel jüngere Salome, seine Reichsverweserin, Frau Zenz, der Vorzimmerdrache, die Abwimmelstrategin von Longinus’ Gnaden. Ich hatte anscheinend Visionen und hätte wohl einen Arzt nötig gehabt. Anstatt mich aber in Behandlung zu begeben, fragte ich die Reichsverweserin: „Grüß Gott, meine Liebe. Können Sie tanzen?“
„Mit Ihnen sicher nicht“, antwortete sie, und ihre grünen Augen blitzten wieder: „Wenn Sie wegen Dr. Salek kommen, kommen Sie umsonst. Er ist außer Haus.”
„Ich werde warten.“
„Da können Sie lange warten. Er ist wegen eines Knochenfundes angerufen worden. Er bleibt in solchen Fällen oft halbe Tage weg.“
„Ich habe hier ein Rendezvous.“
„O Gott, hoffentlich nicht mit mir.“
„Mit einer sehr alten, sehr toten Frau.“
„Was immer Sie vorhaben: Sie können nicht einfach in unseren Leichenkeller, wenn der Herr Doktor nicht da ist!“ echauffierte sich der Zerberus.
„Sehen Sie, meine Liebe, ich bin in den letzten Tagen fast in einem Teppich erstickt, man hat mich mit einem Wagenheber und einem Küchenmesser bedroht, und mein Wagen wurde hoffnungslos versaut! Und das alles, weil ich einen Auftrag Ihres Chefs übernommen habe, der jetzt auch mein Chef ist, liebste Kollegin!“
Damit machte ich auf dem Absatz kehrt.
„Bemühen Sie sich nicht. Ich kenne den Weg in die Unterwelt schon.“
„Ich werde die Polizei holen.“
„Tun Sie, was Sie nicht lassen können.“
Der Abgang in den Keller lag noch immer im großzügigen Vestibül des Pathologie-Pavillons, der ehemals wohl eine hochherrschaftliche Dienstvilla für den Direktor des Krankenhauses gewesen war. Das Schild “Unbefugten ist der Zutritt verboten!” konnte mich nicht schrecken. Ich fühlte mich so befugt wie nur irgendeiner.
Schon auf den ersten Stufen der Treppe stach die Kälte dieses Kellers wieder in meine Bronchien. Die Klimaanlage, die dafür verantwortlich war, surrte schwermütig, und ich atmete die kalte, noch geruchlose Luft. Es schien hundert Jahre her zu sein, seit ich mit Salek die hohen Steinstufen hinabgestiegen war.
Mit einem Mal fiel mir auf, daß ich den
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