Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
natürlichen Veranlagung ein leichtes war. Ich griff in den Anzug nach meiner Brieftasche, und dann mußte alles sehr schnell gehen.
Als die Geldbörse im Gesicht des Sprechers aufklatschte, war ich schon zwischen den beiden älteren Neandertalern durch und halb in der Tür. Der Stumme setzte mir halbherzig nach, gab aber nach zehn Metern im Schnee auf.
Ich lief auf das Haupteingangstor zu.
XXXVI
Der Torso des sieben- oder achtjährigen Mädchens war schändlich nackt. Der Bildausschnitt zeigte sie wie ein dünnes Buch auf dem Rücken liegend mit tieftrauriger, papierweißer Haut, und ein behaarter Männerarm griff nach ihrem Geschlecht. Der Fotoposter hing von mir zunächst unbemerkt in einer Schrebergartenhütte, die ich in der Dunkelheit auf der Suche nach einer Waffe aufgebrochen hatte, hart beim Eingangstor zur Anlage.
Dann ging die Sonne auf wie eine große, stolze Braut, und in ihrem überwältigend jungen Licht entdeckte ich zunächst die Scheußlichkeit an der Wand, dann Dutzende Videokassetten in offenen Schachteln, Magazine mit ekelerregenden Fotos - selbst von Babys - , Videoausrüstung, Scheinwerfer.
Ich spürte Brechreiz wie einen Gummischlauch zur Magenspülung meine Gurgel hochkriechen. Am liebsten hätte ich die Hütte, obwohl sie quasi voller Beweismittel war, in Brand gesteckt. Statt dessen packte ich eine Mistgabel, die in einer Ecke lehnte, und machte mich auf den Weg.
Wenn du die nächsten Tage überlebst, Miert, gehst du dem Fotografen an die Kehle, dachte ich und beeilte mich, zu Bauschs Hütte zu kommen.
Es war keine Viertelstunde seit meiner Flucht vergangen. Die Tür stand, wie ich im Näherkommen bemerkte, offen, und dem Lärm nach zu schließen, demolierten die beiden Zottelbären noch immer Bauschs Hütteninventar. Das war im Prinzip ein harmloses Vergnügen, bis sie offenbar einmal zu oft auf die blecherne Werkzeugkiste eindroschen.
Darin hatte ich nämlich aus Sicherheitsgründen Opa Mierts Handgranate untergebracht.
Es war eher ein trockenes, enttäuschend unspektakuläres Puffen denn eine dieser satten Explosionen, wie man sie aus Hollywood-Filmen kennt. Detonierendes TNT klingt nämlich direkt ärmlich gegen die Unmengen hochexplosiven Superbenzins, welche die Studio-Sprengmeister verwenden.
Als ich mit der Mistgabel im Anschlag wie ein Bauernkrieger in Bauschs Hütte eindrang, war das eine Attacke auf eine bereits geschlagene Armee.
Der Stumme war wohl von einem Teil der total zertrümmerten Kiste am Kopf getroffen worden. Er lag jedenfalls blutend und wimmernd in einer Ecke. Der Redner hockte mit nervösen Zuckungen seiner gesamten Gesichtsmuskulatur wie eine verrutschte Krawatte auf dem Campingbett.
Ich führte die Zinken circa zehn Zentimeter an seine Brust heran.
„Meine Brieftasche!“ Als Chefrhetoriker hatte er sie sicher an sich genommen und nicht Caliban, der sich keinerlei Erste Hilfe von mir erwarten durfte. Er versuchte aus seiner außer Kontrolle geratenen Kopfmuskulatur eine Antwort hervorzuwürgen, nestelte dann aber an und unter seinem Hemd herum und reichte mir die Börse mit zitternden Fingern.
Ich drängte ihn mit der Gabel vom Bett und in eine Ecke. Dann holte ich die Videokassette und das Handy unter dem Bett hervor. Saleks Scheine waren noch vollzählig vorhanden, ebenso meine Ausweise, aber das Telefon war nur mehr Elektronik-Schrott. Ich warf es nach dem Stummen, dann wandte ich mich wieder an den Redner.
„Ich hab was gut bei dir. Weil ich dir jetzt nicht die Lungen durchbohre und deine harte Leber und die Krampfadern in deinem Saumagen“, herrschte ich ihn an.
Der zuckende Kopf nickte.
„Wenn du das verstanden hast, ziehst du jetzt deine Hose aus und ißt sie auf.“
Der Ex-Rhetoriker nickte wieder und begann an seinem Hosengürtel herzumzuzerren.
Das Ergebnis meines verspäteten, schlechten Faschingsscherzes wartete ich nicht ab, sondern beeilte mich, die Mistgabel wieder in die besagte Hütte zurückzustellen und zu versuchen, meine eigenen Einbruchsspuren, so gut es eben ging, zu beseitigen. Schließlich wollte ich den Kinderschänder nicht vorwarnen.
Im Gehen dachte ich, daß ich einen Moment gute Lust gehabt hätte, beide Sandler zu erstechen. Vielleicht hatte mir ein Engel die Hand mit der Mistgabel zurückgerissen.
XXXVII
Ich verließ meine letzte Zuflucht gegen sieben Uhr früh auf einem Feldweg gegen Westen, der anscheinend zum Fluß führte. Den Weg nach Osten zur Bundesstraße, auf der ich mit Bausch hergekommen war,
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