Marek-Miert 01 - Der dreizehnte Mann
Minuten meldete ich über den Notruf eine Schießerei in einem Kindergarten, ein Buttersäure-Attentat auf den Bischof, einen räuberischen Überfall auf das Finanzamt, eine Massenkarambolage in einer Kart-Bahn sowie einen Großbrand im Hallenbad und konnte nur hoffen, daß Gabloners Putzfetzen ein Funkgerät dabei hatten.
Sie hatten eines, wie ich vom Fernrohr in der Pyramidenspitze aus annehmen durfte, als sie den Granada stotternd in Gang brachten und Richtung Kindergarten loskurvten.
Ob mit Fernrohr oder mit unbewaffnetem Auge - ich sehe für gewöhnlich keine grünen Männchen durch Mauerwände stolzieren, ich spüre Unwetter nicht schon Tage vorher im Steißbein, Maria ist mir noch nie erschienen, ich sehe kaum jemals Blut aus der Wasserleitung tropfen, und mein Arzt behandelt mich für gewöhnlich auf Sinusitis und nicht auf Visionen. Trotzdem sah ich plötzlich auf einen Kilometer Entfernung über das Parkplatzmeer hinweg Oberleutnant Gabloner mißmutig in meinem zerschnittenen Fauteuil hocken und Schnaps aus einer seiner Leibflaschen trinken. Die Vision war so real wie der Thunfisch auf einer Pizza al tonno.
Es war ein leichtes, über das Parkplatzmeer zu spazieren wie der jüdische Rabbi und meinen Briefkasten im Erdgeschoß des Bahnwärterhäuschens zu öffnen. Die beiden erwarteten Sendungen voller Dynamit nahm ich an mich.
Die große, fette Spinne in meiner Wohnung bemerkte mich nicht, denn ich hatte ihre beiden Augen in den Kindergarten geschickt.
XXXIII
„Warum sollte ich das bloß für dich tun?“
„Erinnerst du dich nicht mehr, daß du mit deinem eingedrückten Brustkorb und deinen Büroklammer-Beinen immer hinten in der Verteidigung spielen mußtest in der Schulmannschaft? Erinnerst du dich nicht mehr, daß du in acht Jahren Gymnasium nicht einmal die Chance bekommen hast, aufs Tor zu schießen? Erinnerst du dich nicht mehr, wie dich die gegnerischen Stürmer regelmäßig über den Haufen gelaufen sind?“
„Ich rieche geradezu mein Blut, das für den Götzen Sport vergossen wurde.“
Bausch war gleich dunkelmager geblieben. Er trug eine scheußliche, daher vermutlich sündteure Designer-Hornbrille und einen depressiv machenden, daher vermutlich ultracoolen Anzug. Sein Büro lag im exklusivsten Geschäftsgebäude der Stadt. Die Wände waren mit pornographischen Fotos geradezu tapeziert, weil er die Versicherungen per Telefon makelte, die Schadensfälle vor Ort erhob und deshalb praktisch nie Parteienverkehr hatte. Er war natürlich geschieden und hatte einen Rassehund und seltsamerweise auch einen Schrebergarten.
„Erinnerst du dich, wie ich nach einer solchen Attacke an dir dem Stürmer das Wadenbein gebrochen habe, absichtlich und von hinten?“
„Miert, du bist kindisch - was habe ich denn davon, wenn ich mit deinem Stückchen Plexiglas sämtliche Kfz-Werkstätten abklappere, die ich kenne?“
„Du kannst meinen Wagen versichern.“
„Und was riskiere ich bei all dem?“
„Einen Strafzettel, wenn du bei Rot über die Kreuzung fährst.“ Ich konnte Bausch nicht gut sagen, daß man mit der Versicherung eines Ford Granada Baujahr anno Kubakrise alles riskierte.
„Und was ist mit dem Blut auf dem Splitter? Blut macht sich nie besonders gut in Versicherungsfällen, weißt du. Mir sind kaputte Dachrinnen und gestohlene Fahrräder lieber.“
Bauschs Leben, so malte ich mir aus, bestand aus seiner Arbeit, dem guten Geld, das er damit verdiente, Urlauben auf Madeira in viel zu teuren Hotels, Nachtklubbekanntschaften und einem Sportcoupé mit Ziegenledersitzen, der Spezialausführung für nicht mehr ganz so resche Junggesellen. Bauschs Leben war wohl ausgefüllt mit Kundenkontakten, Arbeitsanweisungen für Sekretärin und Putzfrau und coolen Drinks in coolen Bars. Sein teures Büro paßte dazu, der teure Anzug paßte dazu, die teure, vollklimatisierte Luft, die ich nun mitatmete. Nur der Schrebergarten paßte nicht dazu. Der Schrebergarten war etwas Exzentrisches, ja Metaphysisches. Kein erfolgreicher Geschäftsmann gibt sich mit Metro-Plastiksesseln in einem Schrebergarten zufrieden, mit der Gartenzwerg-Idyllik subalterner Existenzen. Wer einen Schrebergarten hat, obwohl er sich einen Park leisten könnte, ist zumindestens in einer Ecke seiner Seele auf etwas aus, was sich nicht in Zahlen auf einem Scheck fassen läßt. Wer einen Schrebergarten hat, ist kein hundertprozentig funktionierender Kostenfaktor auf zwei Beinen. Wer einen Schrebergarten hat, denkt wohl manchmal über
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