Margaret Mitchell
grauen
Tuchanzug die lange Allee heraufgeritten kam. Wie untadelig seine breite
schwarze Krawatte über dem fein gefältelten Hemd saß! Noch jetzt entsann sie
sich jeder Einzelheit seiner Kleidung, der blank gewichsten Schuhe, der Kamee
mit dem Medusenkopf an der Krawattennadel, des breiten Panamahutes, den er
abnahm, sobald er sie erblickte. Er war abgestiegen und hatte die Zügel einem
Negerkind zugeworfen. Da stand er und sah zu ihr hinauf, lachend und die
verträumten grauen Augen weit geöffnet. Die Sonne schien so hell auf sein
blondes Haar, daß es wie eine glänzende Silberkappe aussah. Dann hatte er gesagt:
»Nun bist du also erwachsen, Scarlett«, war die Stufen heraufgesprungen und
hatte ihr die Hand geküßt. Ach, seine Stimme! Nie konnte sie vergessen, wie ihr
Herz geklopft hatte, als hörte sie zum erstenmal die gedehnten klangvollen
Laute. In jenem ersten Augenblick hatte sie ihn begehrt, einfach und ohne alle
Überlegung nach ihm verlangt, wie sie nach Speisen verlangte, nach Reitpferden
und nach ihrem weichen Bett, darin zu schlafen.
Zwei Jahre
lang war er in der Provinz ihr Verehrer gewesen, auf Bällen, bei Picknicks und
auf Gerichtstagen, nicht so oft wie die Zwillinge Tarleton oder Cade Calvert,
nicht so aufdringlich wie die Brüder Fontaine, aber immerhin war keine Woche
vergangen, ohne daß Ashley auf Tara vorsprach.
Gewiß,
erklärt hatte er sich ihr nie, und in seinen klaren grauen Augen war nie etwas
von jener Hitze erschienen, die Scarlett so gut bei anderen Männern kannte. Und
dennoch wußte sie, daß er sie liebte, sie konnte sich nicht irren. Der
Instinkt, der stärker war als die Vernunft, und ein Wissen, das aus Erfahrung
stammte, sagten es ihr. Zu oft war sie seinem Blick begegnet, wie er sie ansah
mit einer Sehnsucht und zugleich einer Traurigkeit, die ihr rätselhaft war. Sie
wußte doch, daß er sie liebte, aber warum sagte er es ihr nicht? Das konnte sie
nicht begreifen, und es gab so viel an ihm, das sie nicht begreifen konnte. Er
war immer höflich, aber fern und unnahbar. Nie wußte jemand, woran er dachte,
und sie am allerwenigsten. In einem Land, wo jeder zu sagen pflegte, was er
dachte, sobald ihm ein Gedanke nur kam, konnte Ashleys Zurückhaltung sie zur
Verzweiflung bringen. Bei den üblichen Zerstreuungen, der Jagd, dem Spiel, dem
Tanz und der Politik, tat er sich nicht minder hervor als die andern, und zu
Pferd übertraf er sie alle. Was ihn aber von allen andern unterschied, war, daß
all diese angenehmen Zeitvertreibe weder Zweck noch Ziel seines Lebens
bedeuteten. Mit seiner Liebe für Bücher und Musik, mit seinem Hang zum Dichten
und Träumen stand er allein.
Ach, warum
sah er so gut aus und war so blond, warum so unnahbar und höflich und so
aufreizend langweilig in seiner Unterhaltung über alles mögliche, das sie nicht
interessierte - und dabei doch so liebenswert! Nacht für Nacht, wenn Scarlett
mit ihm im Halbdunkel auf der Veranda vor der Eingangstür gesessen hatte und
dann zu Bett ging, warf sie sich stundenlang ruhelos herum und tröstete sich
nur mit dem Gedanken, daß er ihr das nächste Mal einen Antrag machen würde.
Aber das nächste Mal kam und ging, und es geschah nichts - nichts, als daß das
Fieber in ihren Adern immer heißer wurde. Sie liebte ihn, sie begehrte ihn, und
sie begriff ihn nicht. Ihr Wesen war so einfach und gerade wie die Winde, die
über Tara wehten, wie der gelbe Fluß, der es umströmte, und bis an das Ende
ihrer Tage würde sie nicht lernen, etwas Zwiespältiges zu verstehen. Hier stand
sie zum erstenmal in ihrem Leben vor einer vielseitigen Natur.
Denn
Ashleys Vorfahren hatten ihre Muße zum Denken und nicht zum Tun verwandt. Bunte
glänzende Träume hatten sie gesponnen, die nicht Wirklichkeit waren. Ashley
lebte und webte in einer anderen Welt, die schöner war als Georgia, und kehrte
nur widerstrebend in die Wirklichkeit zurück. Er sah sich die Menschen an, und
sie waren ihm weder lieb noch leid. Das Leben sah er sich an, und es riß ihn
weder hin, noch drückte es ihn nieder. Er nahm die Welt und seinen Platz darin,
wie sie waren, zuckte die Achseln und kehrte in seine bessere Welt mit ihrer
Musik und ihren Büchern zurück.
Wie es
kam, daß Scarlett von ihm gefesselt wurde, obwohl doch sein Gemüt dem ihren so
fremd war, wußte sie nicht. Gerade das Geheimnisvolle an ihm erregte ihre
Neugier. Es war wie eine Tür, die weder Schloß noch Schlüssel hatte. Um des
Geheimnisvollen willen liebte sie ihn nur um so mehr,
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