Margaret Mitchell
mit eigener Hand vollbracht hatte. Drei Seiten füllte
er mit der Schilderung von der Tapferkeit der Truppen und erwähnte erst am
Schlüsse seines Briefes kurz, Carreen sei krank. Mrs. O'Hara halte es für
Typhus, aber ernstlich krank sei sie eigentlich gar nicht. Scarlett sollte sich
keine Sorgen machen, dürfe aber, selbst wenn die Eisenbahn wieder sicher wäre,
unter keinen Umständen nach Hause kommen. Mrs. O'Hara sei froh, daß Scarlett
und Wade in Atlanta ausgehalten hätten. Sie lasse Scarlett bitten, in die
Kirche zu gehen, um für Carreen einen Rosenkranz zu beten.
Bei diesen
Worten regte sich Scarletts Gewissen. Sie war seit Monaten nicht mehr in der
Kirche gewesen. Sie gehorchte ihrer Mutter, ging in ihr Zimmer und leierte
eilig einen Rosenkranz herunter. Aber als sie sich von den Knien erhob, fühlte
sie sich nicht so getröstet wie früher nach einem Gebet. Seit einiger Zeit
hatte sie das Gefühl, trotz der Millionen Gebete, die täglich zu Gott
aufstiegen, kümmerte Er sich nicht mehr um sie, nicht um die Konföderation,
nicht um den Süden.
Am Abend
saß sie mit Geralds Brief im Busen vor der Haustür. Die Nacht war totenstill.
Seit Sonnenuntergang hatte nicht einmal ein Gewehrschuß mehr gekracht. Die
Lampe im Wohnzimmer warf schräge Lichter in die dunkle Veranda, das
Durcheinander der Kletterrosen und des Jelängerjelieber umgab sie mit einer
Wolke von Wohlgeruch. Die Welt war weit fort. Scarlett wiegte sich auf ihrem
Stuhl hin und her, einsam und unglücklich, und sehnte sich nach jemandem, mit
dem sie ein Wort wechseln konnte. Aber Mrs. Merriwether hatte Nachtdienst im
Lazarett, Mrs. Meade richtete für Phil, der auf Urlaub da war, einen
Festschmaus, und Melanie schlief. Nicht einmal auf zufälligen Besuch durfte sie
hoffen. Niemand war in den letzten Wochen mehr gekommen, alles lag im
Schützengraben oder kämpfte bei Jonesboro mit den Yankees.
Es kam
nicht oft vor, daß sie so allein war wie jetzt, und sie mochte es auch nicht.
Wenn sie allein war, mußte sie denken, und die Gedanken waren in diesen Zeiten
nicht erfreulich. Wie alle dachte sie immer häufiger an das Vergangene, an die
Toten.
Atlanta
war so ruhig diese Nacht. Sie schloß die Augen und meinte, sie sei in die
ländliche Stille von Tara zurückgekehrt und das Leben ginge unverwandelt seinen
friedlichen Gang. Und doch wußte sie, daß das Leben niemals wieder so werden
konnte, wie es gewesen war. Sie dachte an all die vielen, die dahingegangen
waren, und plötzlich schluchzte sie auf und ließ den Kopf in die Hände sinken.
»Ach, Ashley, ich kann es nicht ertragen, daß du nicht mehr da bist!«
Sie hörte
das Gartentor gehen, hob hastig den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die
nassen Augen. Dann erhob sie sich und sah Rhett Butler, den breiten Panamahut
in der Hand, den Weg heraufkommen. Seit jenem Tage, da sie in Five Points aus
seinem Wagen gesprungen war, hatte sie ihn nicht wiedergesehen. Damals hatte sie
gewünscht, er möge ihr nie wieder unter die Augen treten. Aber jetzt war sie
froh, mit jemandem reden zu können, der ihr die trüben Gedanken verscheuchte,
daß sie sich ihren Vorsatz von damals geschwind aus dem Sinn schlug. Auch er
hatte ihre Worte offenbar vergessen oder tat wenigstens so. Er setzte sich auf
der obersten Stufe zu ihren Füßen nieder.
»Sie also
haben sich nicht in Sicherheit gebracht! Ich hörte, Miß Pitty habe den Rückzug
angetreten, und dachte schon, auch Sie seien geflohen. Aber als ich bei Ihnen
Licht sah, bin ich gekommen, um nachzusehen.
Warum sind
Sie hiergeblieben?«
»Um
Melanie Gesellschaft zu leisten. Sie kann jetzt nicht fliehen.«
»Donnerwetter«,
sagte er, und sie sah im Lampenlicht, wie er die Stirn runzelte. »Sie wollen
doch nicht sagen, daß Mrs. Wilkes noch hier ist? Das ist ja ein unglaublicher
Leichtsinn. In ihren Umständen ist das im höchsten Maße gefährlich.«
Scarlett
schwieg verlegen. Melanies Umstände waren kein Gesprächsstoff mit einem Manne.
»Es ist
nicht galant von Ihnen«, sagte sie endlich, »daß Sie nicht auch an meine
Sicherheit denken.«
Er sah sie
belustigt an. »Sie haben von den Yankees nichts zu fürchten, das ist meine
Überzeugung.«
»Ich weiß
nicht, ob das ein Kompliment ist«, sagte sie achselzuckend.
»Es ist
keins«, antwortete er. »Wie lange wollen Sie noch in jeder geringsten Bemerkung
eines Mannes nach Komplimenten suchen?«
»Bis zum
Totenbett«, lächelte sie.
»Du liebe
Eitelkeit«, entgegnete er. »Wenigstens sind Sie
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