Margaret Mitchell
Vorsatz zu Bett, am Morgen Melanie zu sagen, sie
halte es nicht mehr aus und müsse nach Hause, und Melanie müsse hinüber zu Mrs.
Meade. Aber dann tauchte vor ihr Ashleys Gesicht auf, wie sie es zuletzt
gesehen hatte, und sie hörte seine Worte in ihren Ohren klingen: »Du sorgst für
Melanie, nicht wahr? Du bist so stark ... Versprich es mir.« Irgendwo lag er
nun, vielleicht tot. Aber wo er auch sein mochte, er sah sie und nahm sie beim
Wort. Weder dem Lebenden noch dem Toten konnte sie die Treue brechen, und Tag
für Tag blieb sie da.
Ellens
Briefe, die sie nach Hause riefen, beantwortete sie, indem sie die Gefahren der
Belagerung als geringfügig hinstellte, Melanies schwierige Lage schilderte und
zu kommen versprach, sobald das Kind geboren wäre. Mit ihrem feinen Gefühl für
die Pflichten der Verantwortung stimmte Ellen widerstrebend zu, verlangte aber,
daß Wade und Prissy nach Hause kämen. Bei Prissy fand dieser Vorschlag
lebhaften Beifall, sie war jetzt so verängstigt, daß sie bei jedem unerwarteten
Laut in zähneklappernde Blödigkeit verfiel. Sie verbrachte so viel Zeit im Keller,
daß es den beiden Mädchen ohne Mrs. Meades wackere alte Betsy schlecht ergangen
wäre. Auch Scarlett hätte ihr Kind gern aus Atlanta entfernt, weil die
beständige Angst so viel Nervenkraft kostete. Wenn die Granaten platzten, hing
Wade verängstigt und tränenlos an ihrem Rock. Er war bange, abends ins Bett zu
gehen, bange vor der Dunkelheit, bange vor dem Einschlafen und bange davor, daß
ihn die Yankees holen könnten, und sein feines Wimmern in der Nacht war ihr
unerträglich. Ja, Tara war der richtige Ort für ihn; Prissy sollte ihn
hinbringen und sofort wiederkommen, um zur Stelle zu sein, wenn Mellys Kind
erschien.
Aber ehe
sie zu weiteren Entschlüssen kam, traf die Nachricht ein, daß die Yankees nach
Süden abgeschwenkt seien und schon längs der Eisenbahnlinie nach Jonesboro
auftauchten. Wenn sie nun den Zug abfingen, in dem Wade und Prissy saßen ...
Jeder wußte, daß sie mit hilflosen Kindern noch abscheulicher verfuhren als mit
Frauen. So mußte Wade in Atlanta bleiben, ein stummer, verstörter kleiner
Geist, der auf Schritt und Tritt verzweifelt hinter seiner Mutter hertrappelte
und sich fürchtete, wenn er ihren Rock nur eine Minute aus der Hand ließ.
Die heißen
Tage des Juli kamen, und die Belagerung dauerte immer noch an. An das Donnern
der Geschütze begann die Stadt sich allmählich zu gewöhnen. Fast war es, als
sei das Schlimmste bereits geschehen und als gäbe es nichts mehr, wovor man
sich noch fürchten konnte. Man hatte sich vor der Belagerung zu Tode gegrault;
nun war sie da. Das Leben ging fast genauso weiter wie bisher. Man wußte, daß
man auf einem Vulkan saß, aber vielleicht brach er ja gar nicht aus. Seht doch,
wie General Hood die Yankees aus der Stadt fernhält und wie die Reiterei die
Eisenbahnlinie nach Macon beschützt.
Allmählich
flößte die Gewöhnung auch Scarlett wieder Mut ein. Gewiß schreckte sie beim
Lärm der Einschläge noch jedesmal in die Höhe, aber sie rannte nicht mehr
schreiend zu Melanie, um den Kopf in ihre Kissen zu bergen. Manchmal schluckte
sie wohl nur matt und sagte: »Dieses Mal war es aber sehr nahe, fandest du
nicht auch?«
Sie wurde
auch weniger von Angst und Furcht gequält, weil das ganze Leben jetzt wie ein
Traum war, ein Traum, zu grausig, um wahr zu sein. Es war nicht möglich, daß
sie, Scarlett O'Hara, sich in einer so verzweifelten Lage befinden sollte, jede
Stunde, jede Minute den Tod drohend über sich. Es war nicht möglich, daß die
ruhige Geborgenheit ihres Lebens sich in so kurzer Zeit so völlig gewandelt
haben sollte.
Es konnte
nur ein schauriger Traum sein, daß die zarte Bläue des Morgenhimmels durch
Geschützrauch entstellt wurde, der wie niedrige Gewitterwolken über der Stadt
hing daß heiße Mittagsstunden, erfüllt vom honigsüßen Blütenduft, derart von
Grauen zerrissen wurden, wenn Granaten mit kreischendem Sausen über die Straßen
flogen, dann mit einem Getöse wie beim Jüngsten Gericht explodierten und auf
Hunderte von Metern im Umkreis Menschen und Tiere durch todbringende Splitter
zerrissen.
Stille,
schläfrige Nachmittagssrunden gab es nicht mehr. Wenn auch der Schlachtenlärm
von Zeit zu Zeit abebbte, so ging es doch zu jeder Stunde des Tages und der
Nacht in der Pfirsichstraße geräuschvoll her. Kanonen und Ambulanzen rumpelten
vorbei. Verwundete kamen aus den Schützengräben hereingestolpert,
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