Margaret Mitchell
jene
schreckliche Demütigung, da er Zeuge gewesen war, wie sie Ashley geohrfeigt
hatte, wollte sie Rache nehmen. Und dann wollte sie ihm in sanftem Ton
mitteilen, sie könne ihm nicht mehr als eine Schwester sein, und sich mit Ehre
und Würde aus der Affäre ziehen. Sie lachte ein wenig nervös auf.
»Lachen
Sie nicht«, sagte er, ergriff ihre Hand, drehte sie um und drückte seine Lippen
in die Handfläche. Als sie die Wärme seines Mundes spürte, sprang etwas
Urlebendiges auf sie über und rann ihr liebkosend durch Mark und Bein. Seine
Lippen glitten zu ihrem Handgelenk hinauf. Sie suchte ihre Hand wegzuziehen. Er
mußte ja an ihrem Pulsschlag fühlen, wie ihr Herz immer hurtiger schlug. Damit
hatte sie nicht gerechnet, mit diesem verräterisch aufsteigenden Verlangen, ihm
mit den Händen im Haar zu wühlen und seine Lippen auf ihrem Mund zu spüren. Sie
beteuerte sich selbst inmitten all ihrer Verwirrung, in ihn verliebt sei sie
nicht. Verliebt war sie in Ashley. Wie sollte sie sich nur erklären, warum ihr
die Hände so zitterten?
Er lachte
leise. »Nicht wegziehen! Ich tue dir nichts!«
»Ich habe
keine Angst vor Ihnen, Rhett Butler, und vor keinem Manne aus Fleisch und
Blut«, brachte sie hervor, böse darüber, daß ihre Stimme nicht weniger bebte
als ihre Hände.
»Eine
schöne Gewißheit! Aber, bitte, sprechen Sie leiser, denn Mrs. Wilkes könnte Sie
hören, und bitte beruhigen Sie sich.« Es klang, als weidete er sich an ihrer
Verwirrung. »Scarlett, du hast mich gern, nicht wahr?«
Das klang
schon mehr nach dem, was sie erwartete.
»Nun, manchmal«,
antwortete sie vorsichtig. »Wenn Sie sich nicht wie ein Flegel benehmen.«
Er lachte
von neuem und legte ihre Handfläche an seine rauhe Wange.
»Ich
glaube, du hast mich gern, weil ich ein Flegel bin. Du hast in deinem umhüteten
Leben so wenig Flegel kennengelernt, die mit allen Wassern gewaschen sind, daß
ich gerade, weil ich anders bin als alle anderen, einen eigenen Reiz für dich
habe.«
Diese
Wendung hatte sie wiederum nicht erwartet. Sie versuchte vergeblich, ihm die
Hand zu entziehen.
»Das ist
nicht wahr. Ich habe wohlerzogene Männer gern, bei denen man sich darauf
verlassen kann, daß sie immer Gentleman bleiben.«
»Du meinst
solche, die sich von dir einschüchtern lassen. Aber es kommt nicht auf das Wort
an. Es ist einerlei.«
Wieder
bedeckte er die Innenfläche ihrer Hand mit Küssen, wieder überlief es ihr
prickelnd den Nacken.
»Aber du
hast mich gern. Könntest du mich jemals lieben, Scarlett?«
»Nun ist
es soweit!« dachte sie triumphierend, und mit wohlberechneter Kälte erwiderte
sie: »Ganz gewiß nicht. Sie müßten sich dann bedeutend bessere Manieren
angewöhnen.«
»Diese
Absicht habe ich keineswegs. Dann könnten Sie mich also nicht lieben? Das eben
hatte ich auch gehofft. Ich habe Sie zwar schrecklich gern, aber lieben kann
ich Sie nicht, und es wäre doch wirklich traurig für Sie, zweimal an
unerwiderter Liebe zu leiden, nicht wahr? Darf ich >Liebste< zu Ihnen
sagen, Mrs. Hamilton? Nun, ich nenne Sie so, ob Sie es nun mögen oder nicht.
Aber der Wahrheit gebührt die Ehre.«
»Sie
lieben mich also nicht?«
»Nein,
gewiß nicht, hatten Sie es gehofft?«
»Wie
eingebildet Sie sind!«
»Sie
hatten es also gehofft! Ach, daß ich diese Hoffnungen enttäuschen muß! Ich
sollte Sie eigentlich lieben, denn Sie sind reizend und für nutzlose Künste so
begabt! Viele Damen aber sind begabt und reizend und ebenso nutzlos wie Sie.
Nein, ich liebe Sie nicht. Aber ich habe Sie ganz schrecklich gern - wegen
Ihres geschmeidigen Gewissens, wegen der Selbstsucht, die Sie so selten zu
verbergen wissen, und wegen der praktischen Gescheitheit, die, wie ich fürchte,
von einem nicht allzu entfernten bäuerlichen irischen Vorfahren stammt.
Unterbrechen Sie mich nicht«, bat er und drückte ihre Hand fester. »Ich habe
Sie gern, weil ich dieselben Eigenschaften besitze, und gleich und gleich
gesellt sich gern. Ich sehe, Sie pflegen immer noch das Andenken an den
göttlichen Mr. Wilkes mit dem holzgeschnitzten Gesicht, der jetzt
wahrscheinlich seit Monaten im Grabe liegt. Aber Sie könnten doch auch für mich
in Ihrem Herzen ein klein wenig Platz haben, Scarlett. Lassen Sie mir doch Ihre
Hand! Ich mache Ihnen ja eine Liebeserklärung. Ich habe Sie von dem ersten
Augenblick an begehrt, da ich Ihrer in der Halle von Twelve Oaks ansichtig
wurde, damals, als Sie den armen Charlie Hamilton umgarnten. Ich begehre Sie
mehr, als ich je ein
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