Margaret Mitchell
Weib begehrt habe, und ich habe länger auf Sie gewartet
als je auf eine andere Frau.«
Ihr
verging der Atem vor Verblüffung bei seinen letzten Worten. Trotz all seiner
Beleidigungen und Unverschämtheiten liebte er sie also doch und war nur zu
eigensinnig, es zu gestehen. Nun, sie wollte ihm schon auf den Weg helfen, und
das geschwind.
»Machen
Sie mir etwa einen Heiratsantrag?«
Er ließ
ihre Hand fallen und lachte so laut auf, daß sie aus ihrem Stuhl emporschrak.
»Du lieber Himmel, nein! Ich habe Ihnen doch gesagt, daß das Heiraten mir nicht
liegt!«
»Ja ...
aber ... was ...«
Er stellte
sich vor sie hin, legte die Hand aufs Herz und machte ihr eine burleske
Verbeugung. »Liebste«, sagte er ruhig, »ich appelliere an deinen Verstand. Ohne
dich erst verführt zu haben, bitte ich dich hiermit feierlich, meine Geliebte
zu werden.«
»Geliebte!«
Ihr Gewissen schrie dieses Wort, schrie ihr zu, sie sei auf das niedrigste
beschimpft worden. Aber in Wirklichkeit fühlte sie sich gar nicht beschimpft.
Was in ihr aufwallte, war nur wütende Empörung darüber, daß er sie für so dumm
hielt. Er mußte sie schon für sehr dumm halten, wenn er ein solches Ansinnen an
sie richtete, anstatt ihr den Heiratsantrag, den sie erwartete, zu machen. Wut,
verletzte Eitelkeit und Enttäuschung brachten ihr Gemüt in einen wilden
Aufruhr, und ehe ihr überhaupt einfiel, von welchen Höhen moralischer
Entrüstung herab sie ihn zurückweisen sollte, platzte sie mit dem ersten Satz
heraus, der sich ihr auf die Lippen drängte: »Geliebte! Was hätte ich weiter
davon als ein halbes Dutzend Bälge!«
Schon aber
blieb ihr der Mund vor Schreck offenstehen. Was hatte sie da gesagt! Er
erstickte fast vor Lachen und spähte aus dem Dunkel zu ihr herüber, wie sie verstummt
dasaß und sich das Taschentuch an den Mund drückte,
»Siehst
du, das ist es, warum ich dich so gern habe. Du bist die einzige aufrichtige
Frau, die ich kenne, die einzige, die sich die praktische Seite einer Sache
ansieht, ohne ein großes Geschrei über Sünde und Moral dabei zu erheben. Jede
andere Frau wäre zuerst in Ohnmacht gefallen und hätte mir dann die Tür
gewiesen.«
Scarlett
sprang, dunkelrot vor Scham, auf die Füße. Wie hatte sie so etwas über ihre
Lippen bringen können! Wie hatte sie, Ellens Tochter, hier ruhig sitzen bleiben
und sich so erniedrigende Anträge anhören und sie mit so schamlosen Worten
beantworten können! Sie hätte erbleichen, sie hätte schreien sollen. Kalt und
stumm hätte sie sich abwenden und aus der Veranda rauschen sollen.
Nun war es
zu spät.
»Da ist
die Tür«, schrie sie ihn an, ohne Rücksicht auf Melanie oder auf Meades zu
nehmen, die nur ein paar Häuser weiter wohnten. »Hinaus mit Ihnen! Wie können
Sie so etwas zu mir sagen! Womit hätte ich Sie je ermutigt ... Sie je fühlen
lassen ... machen Sie, daß Sie fortkommen, und kommen Sie nie wieder! Diesmal
meine ich es ernst! Daß Sie mir nie wieder unter die Augen treten mit Ihren
läppischen Nadelkarten und Bändern und daß Sie es nicht wagen, sich
einzubilden, ich verziehe Ihnen jemals! Ich ... sage es meinem Vater, und der
erschießt Sie!«
Er nahm
seinen Hut und verbeugte sich, und im Lampenlicht sah sie, wie er unter dem
Schnurrbart lächelnd die Zähne entblößte. Er schämte sich keineswegs, sondern
hatte seinen Spaß an ihrer Aufregung und beobachtete sie mit lebhafter
Neugierde.
Sie drehte
sich schroff auf dem Absatz um und ging ins Haus. Sie packte die Tür fest an,
um sie krachend ins Schloß zu werfen, konnte aber den Haken, der sie festhielt,
nicht lösen. Angestrengt mühte sie sich damit ab.
»Darf ich
Ihnen helfen?« fragte er.
Sie hatte
die Empfindung, daß ihr die Brust zerspringen müsse, wenn sie noch eine Minute
länger hierbliebe, und stürmte die Treppe hinauf. Als sie das erste Stockwerk
erreicht hatte, vernahm sie, wie er geflissentlich, wie sie es gewollt, die Tür
zuschmetterte.
20
Als die
heißen Augusttage zu Ende gingen, hörte die Beschießung plötzlich auf. Die
Ruhe, die sich über die Stadt lagerte, war erschreckend. Nachbarn begegneten
einander auf der Straße und starrten sich in ungewisser Erwartung an. Es war
ihnen allen nicht geheuer. Nach dem Schlachtenlärm der vergangenen Tage brachte
die plötzliche Stille den Nerven keine Erleichterung, sondern machte die
Spannung eher noch schlimmer. Niemand konnte es sich erklären, warum die
Batterien der Yankees schwiegen. Von den Truppen hatte man keine
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