Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
Vom Netzwerk:
Regimenter
wurden aus den Gräben der einen Stadtseite zur Verteidigung einer schwer
bedrängten Bastion auf die andere Seite geworfen. Kuriere stürzten Hals über
Kopf die Straße hinunter nach dem Hauptquartier, als hinge das Schicksal der
ganzen Konföderation von ihnen ab.
    Die heißen
Nächte brachten eine gewisse Ruhe, aber es war eine unheilschwangere Ruhe. War
die Nacht ausnahmsweise ganz still, so war es, als hätten selbst die
Baumfrösche und Heuschrecken und die Spottdrosseln Angst, ihre Stimme zum
gewohnten Sommernachtschor zu erheben. Hin und wieder wurde die Stille durch
knatterndes Gewehrfeuer in der vordersten Verteidigungslinie grell
unterbrochen.
    Oftmals,
zu später Stunde, wenn alle Lampen gelöscht waren und Melanie schlummerte, lag
Scarlett wach und hörte die Klinke des Gartentors knacken und jemanden leise
und dringlich an die Haustür pochen. Dann stand in der dunklen Veranda immer
eine unverkennbare Soldatengestalt vor ihr, und in vielerlei Stimmen redete es
aus der Finsternis sie an. Manchmal war es das harte Schnarren in der Mundart
der Leute vom Gebirge, manchmal der nasale Laut des Flachlandes im fernen
Süden, dann wieder der wiegende Sington der Küste, der ihr ans Herz griff, weil
er sie an Ellens Stimme erinnerte.
    »Ich bitte
sehr um Entschuldigung, daß ich störe, aber kann ich etwas Wasser für mich und
mein Pferd bekommen?«
    »Fräulein,
ich habe hier einen verwundeten Kameraden, er müßte ins Lazarett, aber mir
scheint, er hält so lange nicht mehr aus, darf er hereinkommen?«
    »Meine
Dame, mit einem Bissen Brot ginge es wohl wieder.«
    Oder:
»Gnädige Frau, verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit, aber dürfte ich wohl die
Nacht vor Ihrer Haustür bleiben? Ich sah die Rosen, und der Jelängerjelieber
duftete, es ist ganz wie zu Hause ...«
    Nein,
diese Nächte waren nicht wirklich. Ein Alpdruck waren sie, mit Traumgestalten
ohne Leib und Gesicht, mit müden Stimmen aus der warmen Dunkelheit. Wasser
pumpen, Essen holen, Kissen vor die Haustür legen, Wunden verbinden, Sterbenden
den Kopf halten.
    Es war
Ende Juli, als eines Nachts Onkel Henry Hamilton an die Tür klopfte. Seinen
Schirm, seine Reisetasche und seinen dicken Bauch hatte er nicht mehr. In
seinem ehemals rosigen, wohlgenährten Gesicht hingen die lockeren Hautfalten
herunter wie bei einer Bulldogge. Sein langes weißes Haar war unbeschreiblich
schmutzig. Er ging fast barfuß, war über und über verlaust und hatte Hunger,
aber sein zornmütiger Geist war ungebrochen.
    Trotz
seiner Bemerkung: »Ein törichter Krieg, wenn alte Toren wie ich das Gewehr
schleppen müssen!« hatten die Mädchen den Eindruck, daß Onkel Henry sich
freute. Man brauchte ihn, und er tat die Arbeit eines jungen Menschen. Er
konnte noch mit allen anderen Schritt halten, und Großpapa Merriwether konnte
es, wie er vergnügt erzählte, nicht. Großpapa quälte sich mit seinem Rheuma,
und der Hauptmann wollte ihn entlassen. Aber der Alte wollte nicht nach Hause.
Er sagte offen, die Flüche seiner Vorgesetzten seien ihm lieber als die Zimperlichkeiten
seiner Schwiegertochter und ihre beständige Forderung, er solle das Tabakkauen
aufgeben und täglich seinen Bart waschen.
    Onkel
Henrys Besuch war kurz, er hatte nur vier Stunden Urlaub und brauchte die
Hälfte davon für den weiten Weg von den Bastionen in die Stadt und wieder
zurück.
    »Mädchen,
ich sehe euch nun eine Weile nicht wieder«, verkündete er, als er in Melanies
Schlafzimmer saß und seine blasenbedeckten Füße behaglich in dem Eimer kalten
Wassers kühlte, den Scarlett vor ihn hingesetzt hatte. »Morgen zieht unsere
Kompanie ab.«
    »Wohin?«
fragte Melanie und packte ihn erschrocken am Arm.
    »Rühr mich
nicht an«, sagte Onkel Henry gereizt, »ich wimmle von Läusen. Der Krieg wäre
ein Sonntagsausflug, wenn es keine Läuse und keine Ruhr gäbe. Wo ich hingehe?
Nun, ich weiß es nicht, aber ich denke es mir. Ich denke mir, wir marschieren
morgen früh nach Süden in Richtung Jonesboro.«
    »Ach,
warum denn nach Jonesboro?«
    »Weil es
da zu einer Schlacht kommt, Missy, die Yankees möchten die Eisenbahn haben, und
wenn es ihnen gelingt, dann lebe wohl, Atlanta!«
    »Ach,
Onkel Henry, meinst du, es gelingt ihnen?«
    »Kinder,
wie könnt ihr so etwas denken, wenn ich dabei bin?« Er grinste über das ganze
Gesicht. Dann wurde er wieder ernst. »Es wird schwere Kämpfe setzen, und wir
müssen siegen. Sie haben alle Eisenbahnen außer der nach Macon, aber sie haben
noch mehr. Sie

Weitere Kostenlose Bücher