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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Melanie, kletterte
herab und hob auch Wade heraus. Der kleine Junge schluchzte.
    »Du mußt
ihn beruhigen, ich kann es nicht aushalten«, sagte Scarlett, faßte das Pferd
am. Zügel und zerrte es vorwärts.
    »Sei ein
kleiner Mann, Wade, und weine nicht, sonst komme ich und gebe dir einen Klaps.«
Wozu hatte Gott nur die Kinder erfunden, dachte sie bitter, während sie den
dunklen Weg entlangstolperte. Sie waren eine nutzlose, ewig heulende Plage.
Immer waren sie im Wege. Sie verspürte nichts als Überdruß, daß sie Wade
überhaupt zur Welt gebracht hatte, und eine müde Verwunderung, wie sie Charles
Hamilton je hatte heiraten können.
    »Miß
Scarlett!« Prissy packte sie beim Arm. »Nicht nach Tara! Da sind niemand, sie
sind alle weg, vielleicht tot, Ma und alle!«
    Scarlett
schüttelte sie ab. Der Widerhall ihrer eigenen Gedanken war ihr unerträglich.
Wie langsam nur das Pferd von der Stelle kam! Der Schaum aus seinem Mund troff
ihr auf die Hand. Ein paar Worte des Liedes, das sie einst mit Rhett Butler
gesungen hatte, zogen ihr wieder durch den Sinn:
    »Noch ein
paar Tage trag die Last ...«
    »Noch ein
paar Schritte«, summte es in ihrem Kopf, »ein ganz paar Schritte noch trag die
Last.« Wie es weiterging, wollte ihr nicht einfallen.
    Dann waren
sie endlich droben angelangt, und vor ihnen standen die Eichen von Tara, eine
ragende, dunkle Masse vor dem schon fast nächtlichen Himmel. Scarlett spähte
gierig nach einem Licht. Es war keins zu sehen.
    »Sie sind
alle fort«, sprach ihr Herz, das kalt wie Blei in ihrer Brust lag, »alle fort!«
    Sie lenkte
das Pferd in die Einfahrt hinein. Die Zedern wölbten sich über ihrem Kopf und umgaben
sie mit dichter Finsternis. Sie strengte die Augen an, um den langen, schwarzen
Tunnel zu durchdringen, und sah vor sich oder sah sie es nicht, spielten die
müden Augen ihr einen träumerischen Streich? Verschwommen und undeutlich
erblickte sie die weißen Mauern von Tara. Daheim! Die lieben weißen Mauern, die
Fenster mit den flatternden Vorhängen, die geräumigen Veranden - lag alles das
dort vor ihnen im Dunkel, oder verbarg die Finsternis ihr gnädig ein gleiches
Grauen wie die Maclntoshschen Trümmer?
    Endlos zog
sich vor ihr die Allee hin. Das Pferd zerrte störrisch an ihrer Hand und tappte
immer langsamer vorwärts. Gierig spähten ihre Augen durch die Finsternis. Das
Dach schien noch heil zu sein. War es denn möglich? Sollte der Krieg, der
nirgends innehielt, Tara verschont haben?
    Der
schattenhafte Umriß gewann Gestalt. Immer weiter vorwärts zerrte sie das Pferd.
Dort standen die weißen Mauern in der Finsternis. Tara war verschont geblieben.
Scarlett ließ die Zügel fallen und legte die letzten Schritte laufend zurück,
sie sprang auf die Mauern zu, um sie zu umarmen. Da sah sie eine schattenhafte
Gestalt sich aus dem Dunkel der vorderen Veranda lösen und auf der obersten
Stufe stehen. Tara war nicht verlassen, es war jemand daheim!
    Ein
Freudenschrei stieg ihr in die Kehle und erstarb dort. Das Haus war so dunkel
und still, die Gestalt bewegte sich nicht, gab keinen Laut von sich. Was ging
hier vor? Tara stand noch unzerstört, und doch war es von der gleichen
unheimlichen Stille verhangen, die schwer auf der ganzen Landschaft lag. Da
endlich regte sich die Gestalt. Steif und langsamen Schrittes kam sie die
Stufen herunter.
    »Pa?«
flüsterte sie heiser und wußte nicht, ob sie ihren Sinnen trauen sollte. »Ich
bin es - Katie Scarlett. Ich bin heimgekommen.«
    Gerald kam
ihr stumm, wie ein Schlafwandler, entgegen und zog das steife Bein nach. Er
trat an sie heran und sah ihr blinzelnd in das Gesicht, als hielte er sie für
einen Spuk. Er streckte die Hand aus und legte sie ihr auf die Schulter.
Scarlett erbebte, als wäre sie aus einem Alpdruck zu einem Vorgefühl der
Wirklichkeit erwacht.
    »Tochter«,
sagte er mit Anstrengung. »Meine Tochter.« Dann schwieg er wieder.
    »Aber er
ist ja ein alter Mann geworden«, dachte Scarlett. Seine Schultern waren
vornüber gesunken. In dem Antlitz, das sie nur undeutlich erkennen konnte, war
nichts von Geralds rastloser männlicher Lebendigkeit, und in den Augen, in die
sie blickte, lag etwas ebenso von Angst Gelähmtes wie in den Augen des kleinen
Wade. Er war nur noch ein kleiner, gebrochener alter Mann.
    Nun packte
aus dem Dunkel her die Furcht vor dem Ungewissen sie an.
    Sie konnte
nur dastehen und ihn anstarren, die ganze Flut der Fragen stockte ihr auf den
Lippen. Aus dem Wagen erklang wieder das leise

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