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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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Schneckengang durch das verwüstete Land zu
zuckeln. Vor wenigen Wochen war sie noch beschirmt und in Sicherheit gewesen.
Sie und alle anderen hatten noch vor kurzem gedacht, Atlanta könne niemals
fallen und Georgia niemals vom Feinde durchzogen werden. Aber das Wölkchen, das
vor vier Monaten am nordwestlichen Horizont zuerst auftauchte, war nun zu einem
wüsten Ungewitter herangewachsen, zu einem Tornado, der ihre ganze Welt mit
sich fortriß, der sie aus ihrem umhegten Leben davonwirbelte und inmitten
dieser gespenstischen, stillen Einöde aussetzte.
    Stand Tara
noch oder war auch Tara im Sturm, der über Georgia hinwegging, zerstört und
vernichtet?
    Sie gab
dem müden Tier von neuem die Peitsche und versuchte, es anzutreiben, während
die wackeligen Räder wie Betrunkene von einer Seite zur anderen schaukelten.
    Der Tod
lastete über dem Land. Unter den Strahlen der Nachmittagssonne lag jedes
vertraute Feld und Gehölz in einem unirdischen Schweigen da, das Scarlett das
Herz abdrückte. Jedes leere, von Granaten zerstörte Haus, an dem sie
vorbeigefahren war, jeder ragende Schornstein, der einsam über geschwärzten
Trümmern Wache hielt, erschreckten sie noch tiefer. Seit voriger Nacht hatte
sie keine Menschenseele und kein lebendiges Tier mehr angetroffen. Tote Männer
und tote Pferde freilich, auch krepierte Maultiere, die aufgedunsen und von
Fliegen bedeckt an der Straße lagen, aber nichts Lebendiges. Nirgends brüllte
in der Ferne ein Rind, kein Vogel sang, kein Hauch bewegte die Bäume. Nur das
müde Stampfen der Hufe und das schwache Wimmern von Melanies Kind unterbrachen
das Schweigen. Die ganze Landschaft lag unter einem grausigen Bann. Es war, als
seien die vertrauten Züge einer Mutter nach einem Todeskampf erstarrt und
endlich zur Ruhe gekommen. In den einst so lieblichen Wäldern gingen jetzt
Geister um. Tausende waren während der Kämpfe bei Jonesboro gefallen. Da
geisterten sie nun in diesen verwunschenen Wäldern, wo die schrägen
Sonnenstrahlen durch reglose Blätter schienen. Freund und Feind, alle lugten
nach ihr aus, wie sie auf ihrem gebrechlichen Wagen dahinzottelte, starrten aus
Augen, die von Blut und rotem Staub blind geworden waren, aus glasigen,
fürchterlichen Augen sie an.
    »Mutter,
Mutter«, flüsterte sie vor sich hin. Wenn sie sich nur bis nach Hause durchkämpfen
konnte, und wenn nur durch ein Wunder Gottes Tara noch stand! Dann konnte sie
die lange Allee hinauffahren, ins Haus treten und das gütige, zarte Gesicht
ihrer Mutter anschauen, konnte die sanften Segenshände wieder spüren, die all
ihre Furcht vertrieben, konnte den Rock fassen und ihr Gesicht darein bergen.
    Das
todmüde Pferd schien die Peitschenhiebe und Zügelschläge nicht mehr zu spüren,
sondern wankte schleppenden Hufes weiter und stolperte über Felsstücke und
Furchen, als wollte es jeden Augenblick in die Knie brechen. Als die Dämmerung
nahte, waren sie endlich am letzten Abschnitt dieser schrecklichen Fahrt
angekommen. Nach der nächsten Krümmung des Feldweges bogen sie wieder in die
Landstraße ein, und Tara war nur noch eine Meile entfernt!
    Hier erhob
sich die dunkle Masse der Jasminhecke, an welcher der Besitz der Familie
Macintosh begann. Etwas weiterhin tauchte das Ende der Eichenallee auf, die von
der Straße zum Hause des alten Angus führte. Scarlett spähte durch die sinkende
Dämmerung die beiden Reihen der alten Bäume entlang. Alles war dunkel, weder im
Hause noch im Sklavenviertel war ein einziges Licht zu sehen. Sie strengte die
Augen an und unterschied undeutlich in der Dunkelheit, was ihr während des
schrecklichen Tages schon ein gewohnter Anblick geworden war - zwei riesige
Schornsteine, die wie mächtige Grabmale die Trümmer der zwei Stockwerke
überragten, und zersplitterte, lichtlose Fenster, die wie stille, erblindete
Augen die Mauern durchbrachen.
    »Hallo!«
rief Scarlett mit aller Kraft, »hallo!«
    Außer sich
vor Angst riß Prissy sie am Arm. Die Augen rollten ihr im Kopf.
    »Nicht
hallo, Miß Scarlett, bitte, nicht hallo!« flüsterte sie mit bebender Stimme.
»Man kann nicht wissen, wer antwortet!«
    Scarlett
überlief es kalt. Sie hatte recht. Gott weiß, was da herauskommen konnte! Sie
trieb das Pferd mit den Zügeln weiter.
    Der
Anblick des Maclntoshschen Anwesens hatte ihr die letzte Hoffnung zerstört.
Eine Trümmerstätte war es, wie alle Plantagen, an denen sie vorbeigekommen war.
Tara aber lag nur noch eine halbe Meile weiter an derselben Straße, der

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