Margaret Mitchell
Müdigkeit zitterten, knotete sie das Ende zusammen.
»Streif
ihr das über die Hörner«, wies sie Prissy an. Aber das Mädchen wollte nicht.
»Ich bin so bange vor Kühen, Miß Scarlett, ich noch nie etwas mit Kühen zu tun
haben, ich bin kein Hofnigger, ich bin ein Hausnigger.«
»Ein
Eselsnigger bist du, und Pas schlimmster Einfall war es, dich zu kaufen«, sagte
Scarlett langsam, zu müde, um zu schelten. »Wenn ich je wieder meinen Arm
gebrauchen kann, bekommst du etwas mit dieser Peitsche.«
»So«,
dachte sie bei sich, »nun habe ich >Nigger< gesagt, und das hat Mutter
nie haben wollen.«
Prissy
rollte wild mit den Augen und warf zuerst einen Blick auf das unbewegliche
Gesicht ihrer Herrin und dann auf die kläglich brüllende Kuh. Offenbar hielt
sie Scarlett für die geringere Gefahr, sie klammerte sich an die Wagenbretter
und rührte sich nicht vom Fleck.
Mit
steifen Gliedmaßen kletterte Scarlett vom Sitz herab. Prissy war nicht die
einzige, die Angst vor Kühen hatte. Auch Scarlett war immer vor ihnen bange
gewesen, selbst die sanftmütigste war ihr unheimlich erschienen, aber dieses
Mal konnte sie ihren kleinen Ängsten nicht nachgeben, da die großen mit solcher
Gewalt über sie herfielen. Zum Glück war die Kuh von der sanftesten Gemütsart.
In ihrem Schmerz hatte sie nach menschlicher Hilfe gesucht und ließ es sich
ruhig gefallen, daß Scarlett ihr ein Ende des zerrissenen Unterrocks am Hörn
befestigte. Das andere Ende wurde hinten an den Wagen gebunden, so fest es die
wunden Finger vermochten. Als sie wieder auf den Bock steigen wollte, überkam
sie eine ungeheure Müdigkeit, und plötzlich wurde ihr schwarz vor den Augen.
Sie mußte sich am Wagen festhalten, um nicht hinzufallen.
Melanie
schlug die Augen auf, sah Scarlett neben sich und flüsterte:
»Liebes,
sind wir zu Hause?«
Bei dieser
Frage traten Scarlett die heißen Tränen in die Augen. Melanie ahnte noch nicht,
daß es kein Zuhause mehr gab, daß sie in der sinnlosen unerbittlichen Welt
allein waren.
»Noch
nicht«, erwiderte sie so sanft, als ihre tränenerstickte Kehle es zuließ, »aber
bald. Ich habe eben eine Kuh gefunden, und nun haben wir Milch für dich und das
Kleine.«
»Armes
Kleines«, flüsterte Melanie. Ihre Hand tastete mühsam nach dem Kind und
erreichte es nicht.
Scarlett
faßte von neuem die Zügel, Aber das Pferd ließ in äußerster Erschöpfung den
Kopf hängen und war nicht von der Stelle zu bringen. Erbarmungslos gebrauchte
Scarlett die Gerte und hoffte, Gott möchte ihr vergeben, daß sie einem müden
Pferd so weh tat. Nach einer viertel Meile, wenn Tara vor ihnen lag, mochte das
Pferd in Gottes Namen zusammenbrechen. Schließlich setzte es sich langsam
wieder in Bewegung, bei jedem Schritt quietschte der Wagen, und die Kuh brüllte
gequält. Die Stimme des leidenden Tieres brachte Scarlett zur Verzweiflung, und
sie kämpfte mit der Versuchung, zu halten und das Tier wieder loszubinden. Was
sollte sie mit der Kuh anfangen, wenn auf Tara kein Mensch war? Melken konnte
sie nicht, und auch wenn sie es gekonnt hätte, so hätte das Tier sicher nach
jedem gestoßen, der es an den wunden Eutern berührte. Aber nun hatte sie die
Kuh einmal, und viel mehr besaß sie kaum noch auf dieser Welt.
Als sie
endlich am Fuße einer sanften Erhebung anlangten, schwindelte es Scarlett vor
den Augen. Unmittelbar am jenseitigen Abhang lag Tara. Da entsank ihr der Mut.
Nie im Leben würde das kranke Tier sie den Hügel hinaufziehen. Früher, wenn sie
auf ihrer schnellfüßigen Stute dahingaloppierte, war ihr diese Steigung immer
so geringfügig vorgekommen - wie konnte nun der Hang plötzlich so steil
geworden sein? Sie stieg ab und nahm das Pferd beim Zügel. »Steig aus, Prissy«,
befahl sie, »und nimm Wade auf den Arm oder laß ihn laufen. Das Kleine legst du
neben Miß Melanie.«
Wade
begann zu schluchzen und zu wimmern, und Scarlett verstand nicht mehr als die
Worte: »So dunkel, Wade bange!«
»Miß
Scarlett, ich können nicht gehen, ich haben Blasen an Füßen, die scheuern an
Schuhen, und ich und Wade wiegen doch nur ganz wenig.«
»Heraus
mit dir, sonst laß ich dich hier im Dunkeln allein sitzen. Mach schnell.«
Prissy
wimmerte und warf einen scheuen Blick auf die dunklen Bäume, die sich zu beiden
Seiten der Straße neben ihnen erhoben. Wer konnte wissen, ob sie nicht nach ihr
greifen und sie packen würden, wenn sie sich aus dem Schutz des Wagens
fortwagte! Aber voller Angst legte sie doch das Kleine neben
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