Margaret Mitchell
ihrem
Aufseher zu Dank verpflichtet waren. Mrs. Calvert war offenbar den Tränen nahe,
sie hatte etwas gesagt, was sie nicht hätte sagen dürfen. Das tat sie immer.
Sie konnte die Leute aus dem Süden nicht begreifen, obwohl sie nun schon
zwanzig Jahre in Georgia lebte. Sie wußte nie, was sie zu ihren Stiefkindern
sagen oder nicht sagen durfte; was sie auch tat, sie waren immer von
ausgesuchter, fremder Höflichkeit gegen sie. Im stillen gelobte sie sich, diese
unbegreifbaren, halsstarrigen Fremden zu verlassen und mit ihren eigenen
Kindern nach dem Norden zu ihren Verwandten zurückzukehren.
Nach
diesen Erfahrungen brachte Scarlett es nicht mehr übers Herz, auch Tarletons zu
besuchen. Sie wußte, daß die vier Söhne nicht mehr da waren, daß das Haus
niedergebrannt und die Familie notdürftig im Häuschen des Sklavenaufsehers
untergebracht war. Aber Suellen, Carreen und Melanie drangen so sehr in sie, ihren
Nachbarpflichten nachzukommen, daß sie sich eines Sonntags zusammen auf den Weg
machten. Dieser Besuch war der allerschlimmste.
Als sie an
den Ruinen des Hauses vorbeifuhren, gewahrten sie Beatrice Tarleton im
abgetragenen Reitkleid, die Peitsche unter dem Arm, oben auf dem Gatter der
Koppel sitzen und trübselig ins Leere starren. Neben ihr hockte der kleine
krummbeinige Neger, der ihr Pferd immer zugeritten hatte, und blickte ebenso
freudlos drein wie seine Herrin. Die Koppel, sonst so voll von übermütigen
Füllen und stattlichen Zuchtstuten, war jetzt leer. Nur ein einsames Maultier
graste dort, das Tier, auf dem Mr. Tarleton aus dem Kriege heimgekehrt war.
»Ich weiß
wahrhaftig nicht, wohin mit mir, seitdem meine Lieblinge nicht mehr da sind«,
sagte Mrs. Tarleton, als sie vom Zaun herabkletterte. Ein Fremder hätte meinen
können, sie spräche von ihren vier gefallenen Söhnen, aber die Mädchen aus Tara
wußten, daß sie dabei an ihre Pferde dachte. »Alle meine schönen Pferde sind
tot. Ach, meine arme Nellie! Hätte ich doch wenigstens meine Nellie noch! Nur
ein elendes Maultier ist noch da, ein elendes Maultier«, wiederholte sie mit
einem empörten Blick auf das knochige Geschöpf. »Es schändet das Andenken
meiner geliebten Vollblüter, ein solches Tier auf ihrer Koppel zu haben.
Maultiere sind widernatürliche Mißgeburten. Ihre Zucht sollte verboten werden.«
Jim
Tarleton, der mit seinem buschigen Bart kaum wiederzuerkennen war, kam aus dem
Aufseherhäuschen heraus, um die Besucherinnen willkommen zu heißen, und hinter
ihm drängten sich in geflickten Kleidern seine vier rothaarigen Töchter und
stolperten fast über ein Dutzend schwarzbraun gefleckter Jagdhunde, die bellend
vor die Türe stürzten, als sie fremde Stimmen hörten. Die ganze Familie trug
eine künstliche, gewollte Fröhlichkeit zur Schau, die Scarlett noch
schmerzhafter ins Herz schnitt als die Verbitterung auf Mimosa und die
Totenstille auf Pine Bloom.
Tarletons
bestanden darauf, daß die Mädchen zum Essen blieben. Sie hätten jetzt nur noch
selten Gäste und wollten gern alle Neuigkeiten hören, die es gäbe. Scarlett
sagte ungern zu, weil die Atmosphäre sie niederdrückte, aber Melanie und die
beiden Schwestern wollten nicht fort. Sie blieben also alle vier da und aßen
sparsam von dem Speck und den getrockneten Erbsen, die ihnen vorgesetzt wurden.
Man lachte
über die dürftige Kost, und die Tarletonschen Mädchen erzählten kichernd, als
wäre es der köstlichste Witz, wie sie sich bei der Herstellung ihrer Kleider
hatten behelfen müssen. Melanie kam ihnen entgegen und überraschte Scarlett
durch die plötzliche Lustigkeit, mit der sie von ihren Mühseligkeiten auf Tara
erzählte. Scarlett selber brachte kaum ein Wort hervor. Das Zimmer war so leer
ohne die vier großen Jungens, die sich sonst in diesem Kreise lachend und neckend
gerekelt hatten. Wie mußten erst Tarletons selber die Leere in ihrem Hause
empfinden, mochten sie auch ihren Nachbarn lächelnde Gesichter zeigen!
Carreen
hatte während des Essens wenig gesagt. Nach Tisch schlüpfte sie zu Mrs.
Tarleton hinüber und flüsterte ihr etwas zu. Mrs. Tarletons Gesicht veränderte
sich, und das erzwungene Lächeln wich von ihren Lippen, als sie den Arm um
Carreens schlanke Taille legte. Sie gingen aus dem Zimmer.
Scarlett,
der die Umgebung immer unerträglicher wurde, folgte ihnen. Sie schritt den
Gartenweg hinunter auf den Friedhof zu. Was in aller Welt dachte Carreen sich
dabei, sich von Mrs. Tarleton zu den Gräbern der Jungens führen zu lassen,
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