Margaret Mitchell
keinen mehr, den man heiraten könnte,
und ein Mädchen muß doch heiraten.«
»Ach, sie
braucht doch nicht zu heiraten! Es ist doch keine Schande, Jungfer zu bleiben,
denke doch an Tante Pitty! Ach, mir wäre lieber, Cathleen wäre tot! Nun ist es
mit Calverts zu Ende. Stelle dir doch vor, was für Kinder sie zur Welt bringen
wird. Ach, Scarlett, laß Pork rasch das Pferd satteln, reite ihr nach und bitte
sie, zu uns zu kommen und bei uns zu wohnen.«
»Du lieber
Gott!« Scarlett war entsetzt, wie selbstverständlich Melanie über Tara
verfügte. Sie hatte keineswegs die Absicht, einen weiteren Esser satt zu
machen, und wollte es gerade aussprechen, als etwas in Melanies tiefbetroffenem
Gesicht sie zurückhielt.
»Sie käme
doch nicht, Melly«, sagte sie statt dessen. »Das weißt du ganz gut. Sie ist zu
stolz.«
»Ja, da
hast du wohl recht«, murmelte Melanie verstört und sah die kleine rote
Staubwolke in der Feme verschwinden.
30
In den
warmen Sommertagen nach dem Friedensschluß wurde Tara völlig aus seiner
Einsamkeit herausgerissen. Monatelang schleppten sich bärtige, zerlumpte, ewig
hungrige Vogelscheuchen mit wunden Füßen den roten Hügel nach Tara hinauf,
hockten auf den schattigen Verandastufen, baten um etwas zu essen und um ein
Nachtlager. Das waren die konföderierten Soldaten, die heimkehrten. Die
Eisenbahn hatte die Reste von Johnstons Heer aus Nordcarolina nach Atlanta
gebracht und dort abgesetzt. Von Atlanta aus begannen sie ihre Wanderung zu
Fuß. Als der Strom von Johnstons Truppen vorüber war, kamen die erschöpften
Veteranen der Virginia-Armee und alsdann die Truppen aus dem Westen, um sich
nach dem Süden durchzuschlagen und zu ihrem Heim, das vielleicht gar nicht mehr
stand, und zu ihrer Familie, die vielleicht in alle Winde verstreut war, zu
gelangen. Die meisten kamen zu Fuß, wenige Glücklichere auf knochigen Pferden
und Maultieren, die ihnen bei der Kapitulation verblieben waren. Ausgemergelte
Tiere, denen auch ein ungeübtes Auge ihr vorzeitiges Ende, längst ehe sie die
ferne Heimat erreichten, voraussagen konnte.
Heimwärts,
heimwärts! Das war der einzige Gedanke dieser Elenden. Einige waren traurig und
schweigsam, andere lustig und unbekümmert, aber der Gedanke, daß nun alles
vorüber war und sie nach Hause zogen, war es, was sie alle aufrechthielt. Nur
wenige waren wirklich verbittert. Die Bitterkeit überließen sie ihren Frauen
und den Alten. Sie hatten einen guten Kampf gekämpft, hatten sich tapfer
geschlagen und waren besiegt worden, und nun wollten sie sich gern unter der
Flagge, die sie bekriegt hatten, friedlich niederlassen und das Feld bestellen.
Heimwärts,
heimwärts! Von nichts anderem mochten sie sprechen. Nicht von Schlachten,
Heldentaten, Wunden und Gefangenschaft und auch nicht von der Zukunft. Später
wollten sie alles Geschehene in ihren Erzählungen Wiederaufleben lassen und
ihren Kindern und Enkeln von all ihren tollen Streichen, kühnen Beutezügen und
wilden Sturmangriffen, von den Märschen, Entbehrungen und Verwundungen
berichten. Aber jetzt nicht. Manchem fehlte ein Arm, ein Bein oder ein Auge,
viele trugen Narben, die ihnen bei feuchtem Wetter ihr Leben lang weh tun
sollten. Aber das waren jetzt Kleinigkeiten. Alte und Junge, Schweigsame und
Gesprächige, reiche Pflanzer und arme Trapper ... alle hatten sie zweierlei
miteinander gemeinsam: Läuse und die Ruhr.
Der Soldat
hatte sich an seine Läuse so gewöhnt, daß er sich ihrer kaum noch bewußt wurde
und auch in Gegenwart von Damen sich unbekümmert kratzte. Und die Ruhr, der
Blutfluß, wie die Damen sie beschönigend nannten, hatte wohl keinen, vom
Gemeinen bis zum General, verschont. Vier Jahre waren sie nie richtig satt
geworden; vier Jahre immer nur zähe, unreife, halbverdorbene Proviantrationen,
das war an keinem spurlos vorübergegangen. Jeder, der in Tara haltmachte, war
entweder eben erst von der Ruhr geheilt oder litt noch immer daran.
»Es ist im
ganzen konföderierten Heer kein heiles Eingeweide mehr«, bemerkte Mammy düster,
als sie über dem Herde schwitzend den bitteren Trank der Brombeerwurzeln
braute, der Ellens Heilmittel gegen solche Beschwerden gewesen war. »Ich denke
immer noch, nicht die Yankees haben unsere Gentlemen geschlagen, das haben ihre
eigenen Gedärme getan, und wenn die Eingeweide zu Wasser werden, kann kein
Gentleman mehr kämpfen.«
Mammy gab
ihnen allen miteinander ihre Arznei, ohne erst lange Fragen nach dem Zustand
ihrer Organe zu
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