Margaret Mitchell
immer um einen Sprung voraus. Immer
stimmt etwas nicht in seiner Beweisführung, aber nie kann ich den Finger darauf
legen und genau sagen, was es ist.«
»Sie
können es«, erwiderte sie mit Würde, »unter die Bedürftigen verteilen. Eine
konföderierte Regierung gibt es nicht mehr, wohl aber Konföderierte genug samt
ihren Familien, die am Hungertuch nagen.«
Er warf
den Kopf zurück und lachte. »Nie bist du so reizend, wie wenn du mit solchen
Heucheleien herauskommst«, rief er belustigt. »Sag doch lieber die Wahrheit,
Scarlett. Du kannst ja nicht lügen. Die Iren sind die kümmerlichsten Lügner auf
der Welt. Um die selige Konföderation hast du nie einen Pfifferling gegeben,
und um die hungrigen Konföderierten gibst du noch weniger. Du würdest dich
gewaltig aufregen, wenn ich mit dem Vorschlag käme, all das Geld fortzugeben,
es sei denn, ich gäbe dir zuerst den Löwenanteil.«
»Ich
brauche Ihr Geld nicht«, antwortete sie und versuchte, eine kalte Würde zu
wahren.
»Nein,
wirklich? Und dabei juckt dir schon die Hand danach, zuzugreifen. Ich brauchte
dir nur ein goldenes Fünfdollarstück zu zeigen, und schon würdest du dich
darauf stürzen.«
»Wenn Sie
gekommen sind, mich zu beleidigen und wegen meiner Armut zu verhöhnen, dann
adieu!« gab sie zurück und versuchte, das schwere Buch vom Schoß loszuwerden,
um aufzustehen und ihren Worten mehr Nachdruck zu geben. Sofort stand er neben
ihr, beugte sich lächelnd über sie und drückte sie in ihren Stuhl zurück.
»Wann
wirst du dir endlich abgewöhnen, aus der Haut zu fahren, sobald dir jemand die
Wahrheit sagt? Dir selber macht es nie das geringste aus, andern die Wahrheit
zu sagen. Ist es nicht recht und billig, wenn du sie selber auch einmal zu
hören bekommst? Ich beleidige dich gar nicht, ich bewundere deinen
Erwerbssinn.«
Sie war
nicht ganz sicher, was er mit »Erwerbssinn« meinen mochte, aber doch wurde ihr
ein wenig weicher zumute.
»Ich bin
nicht gekommen, um mich an deiner Armut zu weiden, sondern um dir langes Leben
und Glück in der Ehe zu wünschen. Übrigens, was meinte denn Schwester Sue zu
deinem Diebstahl?«
»Zu meinem
was?«
»Dazu, daß
du ihr Frank vor der Nase weggestohlen hast.«
»Das habe
ich nicht.«
»Nun,
streiten wir uns nicht um Worte. Was hat sie dazu gesagt?«
»Nichts«,
erwiderte Scarlett.
Seine
Augen blinzelten sie ungläubig an. »Wie selbstlos von ihr! Aber nun erzähle mir
etwas von deiner Armut. Nach deinem kleinen Spaziergang ins Gefängnis neulich
habe ich doch ein Recht, etwas darüber zu hören. Hat Frank nicht so viel Geld,
wie du gehofft hast?«
Vor seiner
Unverschämtheit gab es kein Entrinnen. Entweder mußte sie sich mit ihr abfinden
oder ihm die Tür weisen. Jetzt aber wollte sie ihn dabehalten. Seine Worte
waren hart, aber es war die Härte der Wahrheit. Er wußte, was sie getan hatte
und warum, und er dachte anscheinend deswegen nicht schlechter von ihr. Obwohl
seine Fragen peinlich unverblümt waren, zeugten sie doch von einer
freundschaftlichen Anteilnahme. Er war einer, dem sie die Wahrheit sagen
konnte, und das tat ihr wohl. Es war schon lange her, daß sie über sich selbst
und ihre Beweggründe jemandem die Wahrheit hatte sagen können. Sobald sie
aussprach, was sie dachte, tat alle Welt entrüstet. Ein Gespräch mit Rhett war
nur mit der Erleichterung und dem Behagen zu vergleichen, das ein Paar alte
Schuhe bot, nachdem man in zu engen getanzt hatte.
»Du hast
das Geld für die Steuern bekommen? Sage mir nicht, daß auf Tara noch der Wolf
vor der Tür steht.«
Ein neuer
Ton klang in seiner Stimme. Sie blickte auf, um seinen dunklen Augen zu begegnen,
und gewahrte etwas darin, was sie zuerst erschreckte und verwirrte, aber dann
ein Lächeln hervorzauberte, ein zutrauliches, reizendes Lächeln, das nur noch
selten auf ihrem Gesicht zu sehen war. Was für ein elender Querkopf war er
doch, aber wie nett konnte er zuweilen sein! Jetzt begriff sie, warum er
eigentlich gekommen war. Nicht, um sie zu verhöhnen, sondern um sich zu
überzeugen, ob sie das Geld, nach dem sie so verzweifelt verlangt hatte, auch
bekommen hätte. Kaum in Freiheit, war er eilends zu ihr gegangen, ohne sich
jedoch seine Eile anmerken zu lassen, um ihr das Geld zu leihen, falls sie es
noch brauchte, und doch quälte und kränkte er sie. Und hätte sie ihm den Grund
seines Besuches auf den Kopf zugesagt, er hätte ihn sicher geleugnet. Er war
einfach unbegreiflich. Hielt er wirklich mehr von ihr, als er zugab?
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