Margaret Mitchell
Händen durch das feuchte rote Haar.
Scarlett
lehnte sich in den Stuhl zurück und machte die beiden oberen Knöpfe ihrer engen
Taille auf. In der hohen Halle war es kühl und dämmerig, und der leichte
Luftzug, der durch das ganze Haus strich, war erquickend nach der sonnigen
Hitze. Sie blickte in das Wohnzimmer, wo Gerald aufgebahrt gelegen hatte, dann
riß sie die Gedanken von ihm los und schaute sich Großmama Robillards Bildnis
an, das über dem Kamin hing. Das von Bajonetten zerstochene Porträt mit den
hochgetürmten Haaren und der tief dekolletierten Brust übte mit seiner kühlen
Unerschütterlichkeit, wie immer, eine kräftigende Wirkung auf sie aus.
»Ich weiß
nicht, was Beatrice Tarleton schwerer getroffen hat, der Verlust der Jungen
oder der Pferde«, sagte Großmama Fontaine. »Um Jim und die Mädchen hat sie sich
nie viel gekümmert, das weißt du. Sie gehört zu den Leuten, von denen Will
gesprochen hat. Ihr Lebenskern ist zersprungen. Manchmal denke ich, ob sie
nicht auch noch eines Tages den Weg deines Vaters geht. Sie war niemals
glücklich, wenn nicht Pferde oder Menschen vor ihrer Nase jungten, und keins
von den Mädchen ist verheiratet oder hat hier in der Provinz überhaupt noch
Aussicht auf einen Mann. Deshalb hat sie nichts, woran sie ihr Herz hängen
kann. Wäre sie nicht so wirklich von innen heraus vornehm, so könnte sie
richtig gewöhnlich werden ... Hat Will die Wahrheit gesagt? Will er Suellen
heiraten?«
»Ja«,
erwiderte Scarlett und schaute der alten Dame voll ins Auge. Sie konnte sich
der Zeit noch gut erinnern, da sie eine Todesangst vor Großmama Fontaine hatte.
Nun, inzwischen war sie herangewachsen und wollte ihr schon sagen, sie möge
sich zum Teufel scheren, wenn sie sich in die Angelegenheiten auf Tara
einmischen wollte.
»Er könnte
eine Bessere finden«, sagte Großmama offenherzig.
»So,
meinen Sie?« sagte Scarlett hochmütig.
»Mal
schnell herunter von dem hohen Roß, mein Fräulein«, sagte die alte Dame scharf.
»Ich werde deine werte Schwester ungeschoren lassen, was ich wohl kaum getan
hätte, wenn ich auf dem Friedhof geblieben wäre. Ich meine nur, es gibt so
wenig Männer in der Nachbarschaft, daß Will eigentlich jedes Mädchen hätte
bekommen können. Da sind doch Beatrices vier Wildkatzen, die Munroeschen
Mädchen und die McRaeschen.«
»Er
heiratet Sue, und damit basta!«
»Sie hat
Glück, daß sie ihn bekommt.«
»Tara hat
Glück, daß es ihn bekommt.«
»Du hast
Tara lieb, nicht wahr?«
»Ja.«
»So lieb,
daß du nichts dagegen hast, wenn deine Schwester unter ihrem Stande heiratet -
solange es nur ein Mann ist, der sich um Tara kümmert?«
»Unter
ihrem Stande?« Scarlett stutzte bei dem Gedanken. »Was liegt an ihrem Stande?
Wenn ein Mädchen nur einen Mann bekommt, der für sie sorgt!«
»Darüber
läßt sich streiten«, sagte die alte Dame. »Manche würden sagen, du sprichst
sehr verständig, andere, du zerbrächst Schranken, an die niemand rühren sollte.
Will ist ganz gewiß nicht aus guter Familie, und das waren immerhin einige von
deinen Vorfahren.«
Die
scharfen, alten Augen wanderten zu dem Bildnis Großmama Robillards.
Scarlett
dachte an den hageren, unscheinbaren, sanften Will, der immer und ewig an
seinem Strohhalm kaute, an sein ganzes Auftreten, das eine völlige
Energielosigkeit vortäuschte und das den meisten weißen Angestellten und
kleinen Farmern eigentümlich war. Hinter ihm stand keine lange Ahnenreihe von
Reichtum, Ansehen und Geblüt. Der erste aus Wills Familie, der Georgias Boden
betreten hatte, mochte womöglich ein Schuldsklave gewesen sein. Will hatte
keine höhere Schule besucht, vier Jahre Waldschule waren alles, was er an
Bildung aufzuweisen hatte. Er war ehrlich und anständig, geduldig und
ausdauernd in der Arbeit, aber von vornehmem Blut war er bestimmt nicht. Nach
den Maßstäben der Robillards stieg Suellen zweifellos herunter.
»Du bist
also damit einverstanden, daß Will in eure Familie eintritt?«
»Ja«,
antwortete Scarlett nachdrücklich und bereit, beim geringsten abfälligen Wort
über die alte Dame herzufallen.
»Du darfst
mir einen Kuß geben«, sagte Großmama zu ihrer Überraschung und lächelte so
anerkennend, wie sie nur konnte. »Ich habe dich bisher nie besonders gern
gehabt, Scarlett. Du warst immer hart wie eine Nuß, auch schon als Kind, und
harte Frauenzimmer mag ich nicht, mit Ausnahme von mir selber. Aber mir gefällt
die Art, wie du mit den Dingen fertig wirst. Du machst nicht
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