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Margaret Mitchell

Margaret Mitchell

Titel: Margaret Mitchell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vom Winde verweht
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jedes Haus die Straße hinauf und
hinunter die gleiche Yankeewache. Sie konnten sich auch nicht an Freunde um
Hilfe wenden. Vielleicht ritten sie jetzt schon wie gehetzt durch die Nacht auf
dem Weg nach Texas.
    Aber
Rhett! Vielleicht hatte Rhett sie ja rechtzeitig erreicht. Rhett hatte stets
viel Geld bei sich. Vielleicht konnte er ihnen so viel leihen, daß sie
durchkamen. Aber das war doch sonderbar. Warum soll Rhett sich eigentlich um
Ashleys Rettung bemühen? Er hatte ihn nicht gern, ja, er verachtete ihn
unverhohlen. Warum also ... aber das Rätsel ging in der erneut auf sie
einstürmenden Angst um Ashleys und Franks Leben unter.
    »Ach, es
ist alles meine Schuld«, jammerte sie in ihrem Herzen. »India und Archie haben
ganz recht. Alles meine Schuld. Aber ich habe auch weder Ashley noch Frank für
so töricht gehalten, dem Klan beizutreten. Und ich habe auch nie für möglich
gehalten, daß mir wirklich etwas zustoßen könnte. Ich konnte doch nicht anders!
Melly hat wahr gesprochen. Man tut, was man muß, und ich mußte die Mühlen in
Gang halten. Ich mußte Geld haben! Und nun werde ich wohl alles verlieren und
bin selber schuld daran.«
    Nach einer
langen Weile wurde Melanies Stimme unsicher, wurde leiser und schwieg. Sie
wandte den Kopf zum Fenster und machte große Augen, als ob ein Yankeesoldat
durch die Scheibe sie wieder anstarrte. Alle hoben sie jetzt lauschend die
Köpfe. Draußen erklang gedämpft, vom Winde hergetragen, Pferdegetrappel und
Gesang. Es war das abscheulichste und verhaßteste aller Lieder, das Lied von
Shermans Leuten »Auf dem Marsch durch Georgia«, und der Sänger war Rhett
Butler.
    Kaum hatte
er die ersten beiden Zeilen beendet, als zwei andere angetrunkene Stimmen ihn
anpöbelten, wütende und blöde Stimmen, die über die eigenen Worte stolperten
und sie lallend durcheinanderbrachten. Ein rasches Kommando von Hauptmann
Jaffery erscholl auf der vorderen Veranda, eilige Schritte folgten. Aber die
Damen blickten einander verdutzt an. Die weinseligen Stimmen, die sich mit
Rhett herumzankten, waren Ashleys und Hugh Elsings.
    Auf dem
Gartenweg tönten die Stimmen nun lauter, Hauptmann Jafferys fragend und
kurzangebunden, Hughs schrill in blödem Gelächter, Rhetts tief und gewaltig,
Ashleys seltsam unwirklich, als er brüllte: »Was zum Teufel, was zum Teufel!«
    Das kann
nicht Ashley sein, dachte Scarlett ungestüm. Er betrinkt sich nie, und Rhett
... ja, aber wenn Rhett betrunken ist, wird er doch stiller und immer stiller
und nie so laut wie jetzt.
    Melanie
stand auf. Archie erhob sich mit ihr. Sie hörten den Hauptmann draußen im
Befehlston sagen: »Diese beiden sind verhaftet.«
    Archies
Hand schloß sich über dem Griff seiner Pistole.
    »Nein«,
flüsterte Melanie entschieden, »nein, das überlassen Sie mir.«
    Scarlett
bemerkte in ihrem Gesicht denselben Ausdruck wie damals auf Tara, als sie oben
an der Treppe gestanden und, den schweren Säbel in der Hand, auf den
erschossenen Yankee heruntergeschaut hatte. Es war der Ausdruck einer sanften,
schüchternen Seele, die durch die Umstände zur Tücke und Wildheit einer Tigerin
gestählt ist. Sie stieß die Haustür auf.
    »Bringen
Sie ihn herein, Kapitän Butler«, rief sie ihm in klarem Ton entgegen, in dem
ein ätzendes Gift mitklang. »Sie haben ihn wohl wieder betrunken gemacht.
Bringen Sie ihn herein!«
    Von dem
dunklen, windigen Gartenweg her sagte der Offizier: »Es tut mir leid, Mrs.
Wilkes, aber Ihr Gatte und Mr. Kennedy sind verhaftet.«
    »Verhaftet?
Wegen Trunkenheit? Wenn in Atlanta jeder wegen Trunkenheit verhaftet werden
sollte, so säße die ganze Yankeegarnison im Gefängnis. Bringen Sie ihn herein,
Kapitän Butler, das heißt, wenn Sie überhaupt selber gehen können.«
    Scarletts
Geist arbeitete nicht sehr rasch, und einen Augenblick begriff sie überhaupt
nichts. Sie wußte, daß weder Ashley noch Rhett betrunken waren und daß auch
Melanie das wußte, und dabei schrie die sonst so sanfte, feine Frau wie eine
Xanthippe, obendrein noch vor den Yankees, die beiden seien so betrunken, daß
sie nicht allein gehen könnten!
    Ein
kurzer, gemurmelter Wortwechsel, mit Flüchen durchsetzt, und unsichere Tritte
kamen die Stufen herauf, in der Tür erschien Ashley mit schneeweißem Gesicht,
schwankendem Kopf und zerzaustem Blondhaar, seine hohe Gestalt vom Hals bis zu
den Knien in Rhetts schwarzen Capemantel gehüllt. Hugh Elsing und Rhett, beide
nicht allzu sicher auf den Beinen, stützten ihn an beiden Seiten, und

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