Margaret Mitchell
durch eine geheime Hintertür hineingegangen, die auf
die Schienen führt. Sie ist immer abgeschlossen, und immer ist es dort dunkel.«
»Wie sind
Sie denn dann ...?«
»Ich habe
einen Schlüssel«, sagte Rhett kurz und schaute Melanie ruhig in die Augen.
Als seine
Worte ihr in ihrer vollen Bedeutung aufgingen, war sie so betroffen, daß sie
den Verband von der Wunde gleiten ließ.
»Ich
wollte nicht neugierig sein«, sagte sie vor sich hin, und ihr bleiches Gesicht
wurde rot, während sie das Handtuch hastig wieder zurechtschob.
»Es tut
mir leid, daß ich einer Dame so etwas mitteilen muß.«
»Es ist
also wahr«, dachte Scarlett, und es durchfuhr sie sonderbar. »Er lebt wirklich
mit der Watling. Ihr Haus gehört ihm.«
»Ich habe
mit Belle gesprochen und ihr alles auseinandergesetzt Wir haben eine Liste der
Männer gemacht, die heute nacht dabei waren, und sie und die Mädchen werden
bezeugen, daß sie alle heute nacht in ihrem Hause waren. Um uns recht auffällig
fortgehen zu lassen, hat sie dann die beiden Desperados, die bei ihr Ordnung
halten, damit beauftragt, uns mit Gewalt die Treppe herunter und durch die Bar
zu schleifen und als betrunkene Ruhestörer auf die Straße zu setzen.«
Er grinste
bei dieser Erinnerung. »Dr. Meade wirkte als Trunkenbold nicht sehr
überzeugend. Aber Ihr Onkel Henry und der alte Merriwether waren ausgezeichnet.
An ihnen sind zwei große Schauspieler verlorengegangen. Sie hatten sichtlich
ihre Freude daran. Onkel Henry hat, fürchte ich, ein geschwollenes Auge, weil
Mr. Merriwether seine Rolle gar zu eifrig spielte. Er ... «
Die
Hintertür flog auf, und India kam herein, hinter ihr der alte Dr. Dean mit
verwehtem weißen Haar, die dicke abgetragene Tasche unter dem Mantel. Er nickte
den Anwesenden hastig zu und nahm das Handtuch von Ashleys Schulter. »Zu hoch
für die Lunge«, sagte er. »Wenn das Schlüsselbein nicht gesplittert ist, hat es
nichts zu sagen. Bringen Sie mir reichlich Handtücher, gnädige Frau, und Watte,
wenn Sie haben, und etwas Branntwein.«
Rhett nahm
Scarlett die Lampe ab und setzte sie auf den Tisch, während Melanie und India
dem Arzt eilig das Gewünschte beschafften.
»Hier ist
nichts für Sie zu tun. Kommen Sie mit ins Wohnzimmer an den Kamin.« Rhett nahm
Scarlett beim Arm und schob sie aus dem Zimmer. Seine Hand und seine Stimme
waren ungewöhnlich sanft. »Sie haben einen scheußlichen Tag gehabt, nicht
wahr?«
Sie ließ
sich ohne Widerstand hinüberführen, und ein Schauder überlief sie, obwohl sie jetzt
neben dem Feuer stand. Der Klumpen der Angst und des Argwohnes in ihrer Brust
schwoll wieder an. Es war mehr als Argwohn, es war beinahe Gewißheit,
furchtbare Gewißheit. Sie blickte in Rhetts unbewegtes Gesicht hinauf und
brachte einen Augenblick kein Wort hervor. Dann:
»War Frank auch bei... Belle
Watling?«
»Nein.«
Rhetts Stimme klang schroff.
»Archie
bringt ihn auf das leere Grundstück neben Beiles Haus. Er ist tot. Kopfschuß.«
46
Im Norden
der Stadt taten diese Nacht wenige ein Auge zu. Mit India Wilkes'
Schattengestalt, die lautlos durch Hintergärten schlüpfte, eindringlich durch
das Küchenfenster flüsterte und in die windige Finsternis wieder verschwand,
verbreitete sich die Nachricht von dem Unheil, das über den Klan gekommen war,
und von dem klugen Eingreifen Rhett Butlers. Verzweiflung und bange Hoffnung
blieben auf Indias Spuren zurück.
Von außen
gesehen lagen die Häuser schwarz und schweigend in tiefem Schlummer da, drinnen
aber wisperte und flüsterte es bis zum Morgengrauen. Nicht nur wer den
nächtlichen Überfall mitgemacht hatte, sondern jedes Mitglied des Klan war zur
Flucht bereit. Fast in jedem Stall an der Pfirsichstraße standen die Pferde
gesattelt, Pistolen im Halfter und Proviant in der Satteltasche. Das einzige,
was einen allgemeinen Aufbruch verhinderte, war Indias geflüsterte Botschaft.
»Kapitän Butler sagt, zu Hause bleiben sei besser. Die Straßen werden bewacht.
Er hat alles mit der Watling verabredet... « In dunklen Zimmern flüsterten die
Männer: »Aber warum soll ich dem Butler trauen, dem verdammten Lumpen, das kann
eine Falle sein!« Und Frauenstimmen flehten: »Geh nicht fort! Wenn er Ashley
und Hugh gerettet hat, rettet er vielleicht alle. Wenn India und Melanie ihm
trauen ... « Und in halbem Vertrauen blieben sie zu Hause, weil ihnen kein
anderer Weg offenstand.
In den
ersten Nachtstunden hatten die Soldaten an ein Dutzend Türen geklopft, und wer
nicht
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