MargeritenEngel (German Edition)
Wohnungstür. Stimmen dringen aus dem Wohnzimmer. Seufzend schleudere ich meinen Rucksack in die Ecke. Wir haben Besuch. Dabei wollte ich nur noch unter die Dusche und in mein Bett.
Meine Augen fallen fast schon von allein zu. Im Nachhinein wäre es wohl vernünftiger gewesen, nicht die ganze Nacht am Computer zu spielen. Vor allem, wenn ich geahnt hätte, was für ein schrecklicher Tag auf mich wartet. Ich bin kaputt, müde, leer und vor allem voller Angst.
Noch ehe ich die Schuhe im Flur ausziehe, schaue ich nach, wem die Stimmen gehören. Kevin und Rik sitzen im Wohnzimmer. Der Laptop ist an. Sie diskutieren lautstark miteinander.
»Hallo«, sage ich mit krächzender Stimme und räuspere mich.
»Engelchen«, ruft Kevin, springt auf und reißt mich in seine Arme. Ich lasse meinen Kopf gegen seine Schulter fallen, genieße die Wärme seines Körpers und seine streichelnden Hände auf meinem Rücken.
»Süßer, du siehst erschöpft aus«, brummt er und schiebt mich ein Stück von sich, bevor er mich küsst und seine Zunge tief in meinen Mund schiebt. »Du bist auch spät dran. Hattest du nicht schon vor zwei Stunden Feierabend?« Jetzt klingt er nicht mehr so besorgt, sondern eher vorwurfsvoll.
»Ich musste länger arbeiten«, erwidere ich müde. Im Moment habe ich keine Kraft für sein Verhör oder irgendeine ungerechtfertigte Unterstellung. Seufzend fahre ich mir durch die Haare.
Rik steht ebenfalls auf und reicht mir die Hand.
»Hey«, sagt er leise. »Geht es dir nicht gut?«
»Ich hatte einen Scheißtag«, erwidere ich und sehe ihn an.
Er nickt verständnisvoll. Auch wenn ich nicht begreife, warum, aber sein Blick tut gut. Ich möchte nur, dass Kevin mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles wieder gut wird.
»Du hast ja auch einen Scheißjob«, sagt Kevin stattdessen. »Aber ich weiß schon, wie wir dich ablenken können: Wir gehen aus! In der WunderBar ist heute Afterworkparty. Genau das Richtige für dich! Leckere Cocktails, Musik und –«
»Das kannst du vergessen«, falle ich ihm ins Wort. »Ich bin vollkommen erledigt. Frau Schumann wurde heute ins Krankenhaus gebracht. Sie ist auf einmal zusammengebrochen und ich war nicht da, weil ich gerade in einem anderen Zimmer beschäftigt war und… dann kam auch schon der Krankenwagen und… Keine Ahnung, was genau passiert ist. Der Arzt sagte, dass es nicht so schlimm ist, aber manchmal passieren ganz unvorhersehbare Sachen und… Ich will wirklich nicht feiern. Ich habe schreckliche Angst.« Am Ende versagt meine Stimme. Ich kriege kaum Luft und fühle mich vollkommen verloren.
»Natürlich, Frau Schumann mal wieder! Sie verdirbt uns ja nicht zum ersten Mal den Abend«, brummt Kevin ohne jedes Mitleid.
Mir wird schwindelig. Ich habe das Gefühl, mir knicken die Beine weg, deshalb lasse ich mich aufs Sofa sinken und verschränke die Arme vor der Brust.
»Du tust so, als wenn sie das mit Absicht gemacht hätte«, nuschle ich gequält vor mich hin. »Wer ist denn Frau Schumann?«, mischt sich Rik ein.
»Irgend so eine alte Frau bei meinem Engel auf der Arbeit. Sie denkt, sie hätte die Weisheit mit Löffeln gefressen und erzählt dem Kleinen immer mal gern irgendeinen Müll«, kotzt sich Kevin aus.
Jedes seiner Worte tut verdammt weh. Am liebsten möchte ich schreien und wütend auf ihn einschlagen, aber ich reiße mich zusammen.
»Das stimmt doch gar nicht«, sage ich leise. »Sie ist eine nette Frau und erinnert mich an meine Oma. Ich mag sie und mache mir Sorgen…« Die Angst, dass sie nicht wieder zurückkommt, ist übermächtig.
»Steht es denn so schlimm um sie?«, fragt Rik.
Ich nicke und schüttle gleichzeitig den Kopf, dann reibe ich mir über die Augen. Ich bin so müde, dass ich keinen klaren Gedanken fassen kann.
»Willst du einen Tee?«, fragt Rik fürsorglich.
Noch ehe ich antworten kann, sieht er zu Kevin. Den Blick, den die beiden austauschen, kann ich nicht deuten. Mit Erstaunen sehe ich, wie sich Kevin in Bewegung setzt und Richtung Küche verschwindet. Ich höre das Wasser rauschen.
»Okay«, sagt Rik und hockt sich vor mich. »Ich bin sicher, dass alles wieder gut wird.«
»Wie kannst du da so sicher sein?« Ich möchte ihm so gern glauben.
»Keine Ahnung.«, erwidert er ehrlich und lächelt mich an. Ich kann gar nicht anders, als es zu erwidern.
»Manchmal muss man eben einfach daran glauben, dass alles gut wird«, fügt er hinzu. Ich nicke stumm, auch wenn es sich in meinem Inneren ganz anders anfühlt.
»Hier
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