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Margos Spuren

Margos Spuren

Titel: Margos Spuren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Green
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aufgewacht und dir war schlecht?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte ich, was nicht stimmte. Ich war aufgewacht, weil um sechs Uhr der Wecker klingelte, und dann hatte ich mich auf Zehenspitzen in die Küche geschlichen und einen Müsliriegel und ein Glas Orangensaft verdrückt. Ich hatte es nicht schon abends getan, weil ich keine Lust hatte, die ganze Nacht in einem stinkenden Zimmer zu schlafen. Das Kotzen war ätzend, aber es war schnell vorbei.
    Meine Mutter nahm den Eimer, und ich hörte, wie sie ihn in der Küche auswusch. Mit dem frischen Eimer kam sie zurück und sah mich besorgt an. »Ich schätze, dann werde ich mir den Tag frei …«, begann sie, doch ich unterbrach sie.
    »So schlimm ist es nicht«, sagte ich. »Mir ist nur ein bisschen übel. Was Falsches gegessen.«
    »Ehrlich?«
    »Ich ruf an, falls es mir schlechter geht«, sagte ich.
    Sie gab mir einen Kuss auf die Stirn, und ich fühlte ihren klebrigen Lippenstift. Auch wenn mir gar nicht schlecht war, hatte ihre Fürsorge etwas Tröstliches.
    »Soll ich die Tür zumachen«, fragte sie mit einer Hand am Türknauf. Die Tür hing in den Angeln, allerdings lose.
    »Nein, nein, nein«, sagte ich ein bisschen zu schnell.
    »Schon gut«, antwortete sie. »Ich rufe von unterwegs die Schule an. Sag Bescheid, wenn du was brauchst. Oder wenn du willst, dass ich heimkomme. Und Papa kannst du auch jederzeit anrufen. Heute Nachmittag melde ich mich, und dann schauen wir, wie es dir geht, in Ordnung?«
    Ich nickte, und dann zog ich mir die Decke wieder bis zum Kinn. Auch wenn sie den Eimer sauber gemacht hatte, konnte ich die Kotze immer noch durch das Spülmittel riechen, und der Geruch erinnerte mich an das Kotzen selbst, wovon mir seltsamerweise schlecht wurde, und so atmete ich langsam und regelmäßig durch den Mund, bis ich hörte, wie der Kleinbus aus der Einfahrt fuhr. Es war 7 : 32 Uhr. Ausnahmsweise war ich pünktlich, allerdings nicht zur Schule.
    Ich duschte, putzte mir die Zähne, dann zog ich eine dunkle Jeans und ein schwarzes T-Shirt an. Margos Zeitungsschnipsel steckte ich in die Hosentasche. Schließlich hämmerte ich die Zapfen in die Türscharniere und packte meinen Rucksack. Ich wusste nicht, was ich brauchte, aber ich nahm den Schraubenzieher, einen Ausdruck der Landkarte, die Wegbeschreibung und eine Flasche Wasser mit und für den Fall, dass sie da war, den Whitman.
    Punkt acht standen Ben und Radar vor der Tür. Ich kletterte auf die Rückbank. Sie grölten ein Lied der Mountain Goats mit, das im Radio lief.
    Ben drehte sich um und streckte mir die Faust entgegen. Ich boxte sachte zurück, auch wenn ich die Art der Begrüßung dämlich fand. »Q!«, rief er über die Musik. »Na, wie fühlt sich das an?«
    Ich wusste genau, was Ben meinte : Er meinte, mit guten Freunden im Auto zu sitzen, und im Radio spielten die Mountain Goats an einem Mittwochmorgen im Mai auf dem Weg zu Margo und all den margotastischen Schätzen, die uns erwarteten. »Besser als Mathe«, rief ich zurück. Die Musik war zu laut für jede Unterhaltung. Als wir Jefferson Park hinter uns hatten, kurbelten wir das einzige funktionierende Fenster runter, um die Welt wissen zu lassen, dass wir einen guten Musikgeschmack hatten.
    Wir fuhren auf den Colonial Drive und immer weiter stadtauswärts, vorbei an den Kinos und den Buchläden, die ich ein Leben lang besucht hatte. Aber diesmal war es anders und besser, weil es während der Mathestunde war, weil es mit Ben und Radar war und weil wir auf dem Weg an den Ort waren, wo ich hoffte, Margo zu finden. Und schließlich, nach dreißig Kilometern, endete Orlando, und wir fuhren an den letzten Orangenhainen und unabhängigen Farmen vorbei. Endlos flaches Land, dicht bewachsen, Louisianamoos, das in grauen Flechten von den Eichen hing, reglos in der stehenden Hitze. Das war das Florida meiner Kindheit, als ich Pfadfinder war und die Nächte, von Moskitos umschwärmt, auf Gürteltierjagd verbrachte. Hier draußen waren hauptsächlich Pritschenwagen unterwegs, und alle paar Kilometer sah man eine Neubausiedlung in der Nähe des Highways : Kleine Stichsträßchen, die sich ohne ersichtlichen Grund um neue Häuser wanden, Häuser, die sich wie Plastikvulkane aus dem Nichts erhoben.
    Noch weiter draußen kamen wir an einem morschen Holzschild vorbei, auf dem GROVEPOINT ACRES stand. Die rissige Asphaltstraße, die nach hundert Metern auf einem grauen Schotterplatz endete, outete Grovepoint Acres als das, was meine Mutter

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