Mari reitet wie der Wind
aus dem Sattel gleiten. Vertrocknete s Gebüsch bedeckte den Boden mit kargen Schatten. Gaston setzte sich und Mari kauerte sich au f den Fersen neben ihn. Gaston löste den Rieme n seines Hutes. Aus seiner Tasche zog er ein Brot , dazu einen Ziegenkäse, in Zeitungspapier eingewickelt. Mari lief das Wasser im Mund zusammen. Gaston brachte ein Messer zum Vorschein, schnitt das Brot entzwei. Er reichte Mar i eine dicke Schnitte, dazu ein großes Stück Käse . Mari schlang das Brot in großen Stücken hinunter. Gaston zwinkerte mit den Lidern, um de n Schweiß aus den Augen zu bekommen . »Hunger ist ein Gefühl, das ich kenne«, meint e er . Mari nahm gierig einen Bissen . »Da fühlt man sich ganz kalt im Bauch«, fuhr e r fort. »Sogar, wenn es draußen warm ist. « Mari nickte mit vollem Mund. Gaston holte ein e Flasche aus der Tasche . »Süßmost«, sagte er. »Ganz frisch. « »Danke, Monsieur. « Mari setzte die Flasche an die Lippen .
»Trink nicht zu viel davon«, knurrte Gaston . »Frischer Most macht Bauchweh. « Eine Weile aßen und tranken sie ohne ein Wort . Dann beendete Gaston das Schweigen . »Der Chef ist zurück. « Mari zuckte zusammen . »Sie haben gesagt, er ist länger weg. « »Du hattest Glück. Zuerst wollte er nur für zwe i Wochen verreisen. Dann ist er mit eine m Freund nach Tunis gesegelt. Aber jetzt ist e r wieder da. « Mari presste ihre Lippen aufeinander, um z u verbergen, wie sehr sie plötzlich zitterte. Doc h es gelang ihr nicht . »Und was wird jetzt aus Paloma? « Gaston räusperte sich . »Es ist besser, du bleibst weg von ihr. « Mari schüttelte wortlos, aber heftig den Kopf , dass ihre Locken nur so flogen . Gaston nahm einen Schluck Süßmost . »Ich sage das wirklich nicht gern. Aber es könnte Schwierigkeiten geben, für dich und auch fü r mich. Du darfst nicht mehr herkommen, auf keinen Fall. « Mit einem heftigen Ruck bot Mari ihm die Stirn . »Paloma hasst ihn. « Gaston wischte sich mit dem Handrücken übe r den Mund .
»Sie wäre nicht das erste Pferd, das seinen Reiter hasst.« Mari schluckte. »Er hat doch genug andere Pferde.« Der Gardian nickte. »Sicher. Und ich dachte, auf der Reise ist er erst mal abgelenkt. Aber er hat die Stute nicht vergessen. Er will sie für sich selbst. Er findet, er macht eine gute Figur auf ihr. Außerdem will er ihr heimzahlen, dass sie ihn abgeworfen hat.« Maris Gesicht wurde eigensinnig und hart. »Paloma will nicht, dass ein anderer sie reitet. Sie wird ihn immer wieder abwerfen!« Gaston grübelte vor sich hin. »Das ist ja das Problem. Deswegen habe ich dem Chef einen Vorschlag gemacht: Ich werde das Tier an Sattel und Zaumzeug gewöhnen. Aber mit Geduld und so, dass es ihm nicht schadet. Der Chef sagte: ›Mach, was du willst, Gaston. Aber wehe, wenn der Gaul mich noch mal abwirft!‹ « »Paloma wird Ihnen vertrauen! Und beim nächsten Mal, wenn dieser Mistkerl sie auspeitscht, wird sie hilflos sein!«, rief Mari, wobei sie jedes Wort betonte. Gaston senkte den dicken Kopf. »Das ist unvermeidlich, Mari. Aber Paloma ist ein wertvolles Tier. Der Chef soll sie nicht zu Schanden reiten.
Wenn ich sie vorbereite, wird das nicht geschehen. Das ist das Einzige, was ich für sie tu n kann. « In Maris Augen traten Tränen. Es war kei n Schluchzen – es waren nur stille Tränen . »Paloma ist mein Pferd!«, stieß sie hervor . Gaston seufzte . »Nein, Mari, sie ist Marcel Aumales Pferd. S o liegen die Dinge nun mal – auch wenn ich mi r wünschte, es wäre anders. « Er blickte das Mädchen traurig an und versuchte, die richtigen Worte zu finden . »Du musst verstehen, Mari, dass es nicht ander s geht. Wir sind doch Freunde, nicht wahr? « Mari schüttelte den Kopf mit einer schroffen Bewegung . »Ich habe keine Freunde«, sagte sie kalt. »Si e sind genau wie die anderen. «
9. Kapitel
In dieser Nacht fand Mari keinen Schlaf. Die Dunkelheit hatte keine Abkühlung gebracht, es war sogar noch drückender geworden. Die Luft im Wohnwagen war zum Ersticken, obwohl das Fenster weit offen stand. Von draußen drang das schrille Zirpen der Grillen herein und manchmal hörte man Hunde bellen. Blechbüchsen schepperten, wenn irgendwo ein Tier in einem Abfallhaufen wühlte. Aus einem anderen Wohnwagen klangen Stimmen und Musik. Mari lag neben Deborah, die sich neben ihr unruhig im Schlaf herumwälzte. Das Kind zahnte; Lola hatte das geschwollene Zahnfleisch mit einer Paste aus Salbei und Kamillenblüten eingerieben, die den Schmerz
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