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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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Nach
    einigen Wochen hatte er eingesehen, dass er hier in Osnabrück weiter von New York entfernt war als
    jemals zuvor, und holte das Bild aus dem Koffer, das er sich in Kopfnähe neben dem Bett an die Wand
    klebte.
    Immerhin: Heimweh hatte er nicht. Nicht im Ge-
    ringsten. Nach zwei Wochen hatte er – wohlweislich
    ohne Absender, um das Militär nicht auf seine Spur
    zu bringen – seiner Mutter einen Brief geschrieben
    und versucht, ihr darin zu erklären, dass er sie habe verlassen müssen, um hier in Deutschland sein Glück zu suchen. Es war der erste einer ganzen Reihe von
    Briefen, die er alle paar Wochen Richtung Heimat
    schickte. Er konnte zwar keine Post empfangen, aber seine eigenen Zeilen halfen ihm über seine Unzufrie-denheit hinweg, denn in seinen Berichten schönte er die Lage beträchtlich, schrieb von einer komfortablen Wohnung und großartigen Plänen, die der Betrieb
    schon jetzt mit ihm habe. Er berichtete von den
    eleganten Straßen der Stadt und der hervorragenden
    Verpflegung, die der in der Heimat in nichts
    nachstehe. In Wahrheit hasste er nichts mehr als die verkochte Pampe, die man hier Pichelsteiner Eintopf nannte, und das Vierbettzimmer, in dem die Spanier
    bis spät in die Nacht ihr Geld versoffen und dann
    mit ihm Streit suchten. Antonio ging keiner
    Auseinandersetzung aus dem Weg. Wer sich mit ihm
    anlegte, musste damit rechnen, auf einen harten und hemmungslosen Gegner zu treffen. Wut und Frust
    bahnten sich ihren Weg und so knallte es fast jeden Abend in einem der Zimmer.
    Inzwischen hatte er Landsleute entdeckt, die aus
    Kalabrien und Apulien stammten und in ihrem
    Zimmer ein gutes ragù zustande brachten. Manchmal gingen die Männer gemeinsam aus, wenn das
    Wochenende Langeweile verhieß, und erkundeten
    das Nachtleben von Osnabrück. Zu Hause hatte er
    vor einigen Monaten die Bibliothek aufgesucht und
    diesen Ort im Atlas nicht einmal gefunden, nun
    wohnte er hier und wurde bestaunt wie ein Exot.
    Die deutschen Mädchen gefielen ihm, besonders
    der blasse Teint und die freundliche Neugier, mit der sie ihm zuhörten, wie er auf Italienisch aus seinem Leben erzählte, irgendwas daherplapperte. Es waren
    der Klang seiner Stimme und die blauen Augen, die
    die Mädchen fesselten. Bald verliebte er sich in eine junge Frau, deren Name Monika war und die in der
    Fabrik in der Buchhaltung arbeitete. Nachdem sie
    sich zwei Wochen mehr oder weniger heimlich mit-
    einander getroffen hatten – zwei Wochen, in denen
    sie meist ohne Worte zu gebrauchen in der inter-
    nationalen Sprache der Liebe kommuniziert hatten –, machte Antonio die Bekanntschaft ihres Verlobten,
    der naturgemäß ihrer Verbindung skeptisch gegen-
    überstand.
    Irgendeiner aus dem Wohnheim hatte dem Mann
    etwas von Monikas Verhältnis gesteckt, und der
    Mann, ein grobmotorischer Tankwart namens Heinz,
    lauerte Antonio auf, als dieser von der Schicht kam und gerade das Wohnheim betreten wollte.
    »Was machst du mit meiner Frau?!«, schrie er den
    ahnungslosen Toni an.
    »Nix verstehen.« Das war keine Lüge.
    »Kennst du eine Monika?«
    »Nein, nicht kenne.« Das war eine Lüge.
    »Ich zeige dir, was mit euch Scheißern passiert,
    wenn ihr eine deutsche Frau anfasst!«, brüllte der
    Kerl und hieb Antonio zweimal trocken auf die Nase, die sofort brach. Antonio hätte diesen Burschen in
    Stücke reißen können. Er hätte die Tankstelle anzünden und auf das Grab dieses Hurensohnes pissen
    können. Er wusste, dass er mehr Kraft hatte als dieser Wurm und mehr Courage ohnehin. Zu Hause in
    Campobasso wäre der Kerl erledigt gewesen. Aber
    hier war Antonio erledigt. Schon während ihm das
    Blut übers Gesicht schoss, war ihm klar, dass eine
    Schlägerei mit einem Deutschen, gleich aus welchem
    Grund, seine Ausreise zur Folge haben würde. Also
    ließ er das Blut auf sein Hemd tropfen, ertrug das
    Gelächter der Spanier und schluckte seine Rachege-
    fühle herunter.
    An dem Abend, an dem Heinz Krawczyk aus Os-
    nabrück ihm die Nase brach, lag Antonio auf seinem
    Bett und weinte. Er weinte, weil ihm jemand sein
    Bild von New York von der Wand gerissen hatte. Er
    weinte, weil er die Demütigung durch diesen Mann
    ertragen musste. Er weinte, weil Monika nicht auf-
    richtig zu ihm gewesen war (eine Schmähung, die
    ihm, der gegenüber Frauen niemals aufrichtige Ge-
    fühle entwickelte, besonders zusetzte). Er weinte,
    weil er ahnte, dass er in diesem Karosseriewerk niemals den Posten würde erklimmen können, den er
    laut seiner

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