Maria, ihm schmeckts nicht!
Eisenbahnen und
summte dabei eine leise Melodie. Wenn Ursula end-
lich auftauchte und ihn erschrocken fragte, wie lan-ge er diesmal auf sie gewartet habe, sagte er nur:
»Gar nichte gewartete. Binne Kunde und schaue mi
nur um, mit Ihre Erlaubnis, schöne, gnädige Frau.«
Genau dafür liebte sie ihn.
Die Lage in Ursulas Wohnung, in der nun auch An-
tonio hauste, spitzte sich zu, als der Hausbesitzer verbot, dass ihr gemeinsamer Name an die Klingel
geschraubt wurde, weil er zwar zu dulden habe, dass ein Ausländer in seinem Haus wohnte, doch das müs-se nun wirklich nicht auch noch jeder wissen. Das
Paar beschloss also, eine eigene Wohnung zu mieten, denn Anfang 1966 war nicht mehr zu übersehen, dass
die Familie Marcipane bald mehr Platz brauchte.
Die Nutte, wie Ursula an ihrem Arbeitsplatz selbst
dann genannt wurde, wenn sie dabei war, schämte
sich für die Intoleranz der Menschen, von denen sie ein halbes Leben lang gedacht hatte, dass sie anständige Nachbarn, Kollegen und Freunde seien. Wenn
Ursula abends zu Hause weinte, beruhigte Antonio
sie und tröstete sie damit, dass es jedem Fremden in der Fremde so ergehe, das gehöre nun einmal zum
Wesen des Fremdseins, und wenn er eines Tages
allen vertraut sei, dann werde sich das auch legen.
Eigentlich wusste er aber, dass das nicht stimmt. Er dachte an seinen Vater und daran, wie er sein Leben lang ein Fremder geblieben war. Warum sollte es
hier anders sein als in Campobasso?
Niemand wollte den beiden eine Wohnung vermie-
ten. Schließlich willigte Antonio in eine schon sitten-widrige Kaution ein und bezahlte dreitausend Mark
an einen in breitem Krefelder Dialekt sprechenden
Schnauzbart, der das Ehepaar Marcipane seine neue
Wohnung zwar vor der Vertragsunterzeichnung nicht
besichtigen ließ, dafür jedoch versprach, den Schimmel in der Schlafzimmerwand bald zu beseitigen,
was natürlich nie geschah.
Mit der Geburt von Lorella, Saras großer Schwes-
ter, kündigte Ursula im Spielzeugladen und erlebte
so die Folgen des verheerenden Brandes nicht mit,
der die unterversicherte Firma Spielwaren Berger nur Tage später in den Ruin führte. Es musste Brand-stiftung gewesen sein, auch wenn sich keine eindeu-
tigen Spuren mehr dafür finden ließen. Jedenfalls
brach das Feuer den Schäden nach zu urteilen wohl
bei den Holzfiguren und den Eisenbahnen aus, von
wo es sich durch alle Stockwerke fraß. Zum Glück
wurde niemand verletzt. Als Ursula Antonio von
dem Desaster aus der Zeitung vorlas, zuckte er bloß gelangweilt die Schultern und sagte: »War paar Male dorte, aber hatte keine gute Verkäufer ohne die Manieren. Habi nie was da gekauft.«
Er brauchte einen neuen Job, denn als Kellner lebte er fast nur von Trinkgeldern. Seine Familie konnte er auf diese Weise nicht versorgen. Und er war, auch wenn er es inzwischen fast vergessen hatte, Schlosser und Dreher mit einer besonderen Befähigung für
technisches Zeichnen. Er war doch jemand, ein Spe-
zialist, ein Fachmann aus dem Süden. Also begab er
sich offiziell auf Stellensuche und fand tatsächlich nach kurzer Zeit eine Anstellung in einem Stahlwerk, leidlich gut bezahlt und nicht zu weit entfernt von seiner Wohnung. Er machte den Führerschein und
kaufte im Jahr darauf einen Ford Taunus, sein erstes Auto, mit dem er im Sommer 1967 seine erste Fahrt
in den Süden antrat.
Worte können den Stolz und das Glück nicht
beschreiben, das ihn erfüllte, als er hupend in die Via Tiberio einbog. Dem Taunus folgte ein Opel Rekord,
dessen enorme Geschwindigkeit Antonio fast ebenso
die Sinne schwinden ließ wie die Geburt seiner zweiten Tochter Sara.
Wieder gingen die Marcipanes auf Wohnungssu-
che. Und erneut machten sie die Bekanntschaft von
jovialen und überaus freundlichen Vermietern, die ihnen zu ihrem Bedauern mitteilten, dass die inserierte Wohnung gerade an ein deutsches Ehepaar vermietet
worden sei. Bedauerlich, auch wegen der beiden sü-
ßen Kinder, wie es dann noch süffisant hieß. Antonio schien sich nicht an diesen Unverschämtheiten zu
stören. Er entschied, dass der Mietmarkt für ihn kei-ne geeigneten Objekte anbot, und diese Verdrehung
der Tatsachen ließ für ihn nur einen Ausweg aus der Misere zu: Wenn es für ihn keine Wohnung gab,
dann musste er eben eine bauen.
Also erkundigte er sich nach Grundstücken und
landete schließlich mit einem Makler auf einem mat-
schigen Acker, der soeben als Neubaugebiet erschlossen würde und auf dem er sich den Grund für
Weitere Kostenlose Bücher