Maria, ihm schmeckts nicht!
ein Reihenhaus aussuchen konnte, weil noch keine einzige
Parzelle verkauft war. Das lag wohl auch daran, dass hier wie in vielen Lagen am Niederrhein das Grund-wasser durch den lehmigen Boden drückte und ein
Bauherr viel Geld zu investieren hatte, wenn er Wert auf einen trockenen Keller legte. Er entschied sich für ein Reihenendhaus, weil der Garten größer war und
zumindest auf einer Seite um das Gebäude herum-
führte, es sozusagen in ein zur Hälfte frei stehendes Haus verwandelte. Dieser Umstand verleitete Antonio dazu, in späteren Jahren immer von »seine kleine Villa« zu sprechen, wenn er von seinem Haus erzählte.
Der Bankkredit wurde zu ungünstigen Kondi-
tionen geschlossen, denn Herr Schulze von der Kre-
ditabteilung sah in dem Umstand, dass Antonio
Ausländer war, ein erhöhtes Risiko für sein Institut.
Antonio lernte im Gespräch mit Herrn Schulze die
Feinheiten der deutschen Sprache kennen, die ihm
bis heute Fallen stellt. Das ist auch nicht so schwer, denn wie soll ein einigermaßen empfindsames Ge-müt ein so abweisendes Wort wie zum Beispiel
»Fremdenzimmer« nicht als Anschlag auf seine Seele
werten? Oder Graupelschauer. Oder Eisbein.
Herr Schulze von der Kreditabteilung der Bank
war ein schicker junger Mann, etwa im gleichen Al-
ter wie Antonio. Aber er saß auf der anderen Seite
des Tisches.
»Sie sind doch Gastarbeiter, nicht wahr?«, eröffnete er das Gespräch.
»Ja, binne Gastarbeiter un schon bald zehn Jahre
hier.«
»Sehen Sie: Gastarbeiter ist ein zusammengesetztes
Hauptwort.«
»Auptewort«, wiederholte Antonio und nickte, als
habe er richtig verstanden.
»Es besteht aus den Substantiven Gast und Arbei-
ter, und das bedeutet, dass Sie hier nur zu Gast sind und hauptsächlich arbeiten. Verstehen Sie?«
»Verstehe«, log Antonio und sah Hilfe suchend zu
seiner Frau hinüber, die sich genau vorstellen konn-te, was Herr Schulze meinte.
»Arbeiten soll der, nicht deutsche Frauen schwän-
gern und sich in deutschen Wohnsiedlungen breit
machen«, brach es aus ihr heraus. Sie war oft genug als Flittchen beleidigt worden und spürte inzwischen sehr genau, wann jemand dazu ansetzte, sie zu belei-digen. Sie begann zu weinen. Antonio verstand nicht, was sie gesagt hatte, und er wusste nicht, was er tun sollte, also lächelte er freundlich und spielte mit einem Radiergummi, den er in einer Hosentasche gefunden hatte.
»Aber liebe gnädige Frau, so war das doch nicht
gemeint«, bemühte sich Herr Schulz. »Ich meine doch nur, dass man nicht genau wissen kann, wie lange
Herr Marcipane noch bei uns zu Gast sein wird.
Vielleicht möchten Sie bald mal nach Italien ziehen, und da haben wir schon erlebt, dass Kreditverträge
nicht mehr eingehalten werden.«
Die Familie Marcipane erhielt das Geld zu einem
Zinssatz, der die Kosten des Hauses annähernd ver-
doppelte. Antonio war es egal. Er freute sich darüber, dass Lorella und Sara von dem netten Mann noch je
ein Sparschwein und einen Luftballon bekamen. Und
zwar umsonst.
Als das Heim fertig war, dessen Innenausbau An-
tonio, um Kosten zu sparen, weitgehend selbst über-
nahm, standen die umliegenden Häuser bereits. Nie-
mand brachte den Marcipanes Brot und Salz. Nie-
mand stieß mit ihnen auf gute Nachbarschaft an. An-
tonio berührte das im Gegensatz zu seiner Frau nicht, denn seit seiner Begegnung mit Heinz Krawczyk aus
Osnabrück hatten die so genannten anderen für ihn
keine Bedeutung mehr. Auch der Vermieter der Woh-
nung, von dem er die dreitausend Mark Kaution nicht zurückbekam, weil dieser ihm vorhielt, er müsse ja
den von Antonio verursachten Schimmel im Schlaf-
zimmer von diesem Geld beseitigen, war ihm egal.
Ursula hätte den Mann am liebsten verklagt, aber
Antonio beruhigte sie: »Der Type iste eine arme Kerl, kanner die Wohnung nie mehr vermieten.«
Dies traf tatsächlich zu, denn irgendjemand dreh-
te kurz nach dem Auszug der Marcipanes im Keller des Hauses sämtliche Wasseranschlüsse auf, was
mehrere Tage unbemerkt blieb und der maroden
Bausubstanz des Gebäudes den Rest gab. Es musste
auf Kosten des Besitzers zur Hälfte abgerissen und
restauriert werden. Der Schaden ging in die Hun-
derttausende.
Wenn für die Menschen im Allgemeinen der
Lehrsatz gilt: »Die Hölle sind immer die anderen«, so lautet er für Antonio: »Die anderen sind immer in
der Hölle.« Er selbst lebt im Himmel eines kleinen
Reihenhäuschens und lacht sein Sirenenlachen.
»Das war«, sagt
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