Maria, Mord und Mandelplätzchen
Kisten packen würde …
Das einzige Problem war, dass man sie im Heim vermissen könnte, doch auch dafür legte ich mir einen Masterplan zurecht.
Oma Martha war schwerer, als ich dachte. Was im täglichen Leben so zart und zerbrechlich erschien, zeigte sich mit etwa 50 Kilogramm Totgewicht als schwerwiegendes Problem.
Ich zerrte sie durch den Garten, war mir durchaus der Gefahr bewusst, dass man mich sehen könnte. Doch ich hatte Glück. Nichts dergleichen geschah.
Es gelang mir problemlos, Oma Martha im Gewächshaus zu betten und hinter Kisten und unter Planen zu verstecken.
Ich war stolz, dass mir das so einfach gelungen war. Erfahren in der Leichenbeseitigung war ich schließlich nicht.
Als Nächstes suchte ich die Heimleitung auf. Sie waren über mein Vorhaben, Oma schon jetzt über Weihnachten mitzunehmen, sehr erfreut. Eine zeternde Alte weniger.
Der kleine Koffer mit Oma Marthas Sachen war rasch gepackt, und ich fuhr vom Hof.
Damit war das Oma-Martha-Problem zwar gelöst, nicht aber, wie ich dem Mörder auf die Spur kommen könnte.
Zunächst galt es herauszufinden, wer sich um die besagte Zeit in Omas Zimmer aufgehalten hatte, und das Motiv für den Mord zu klären.
Ich hatte selbstverständlich keinen Schimmer, wie man das machte. War nur
Tatort
-erfahren, das heißt, ich schaute ihn jeden Sonntag und wusste, wie Ballauf und Konsorten ihre Fälle lösten. Sie hatten zwar sämtliche Pathologen und ein riesiges Team an ihrer Seite, aber das betrachtete ich im Todesfall von Oma Martha als unnötig, da bei ihr sicherlich keine große Komplexität der Umstände zu erwarten war, denn der Täterkreis beschränkte sich doch eher auf ein Minimum an Verdächtigen.
Denn es kamen nur die Bewohner oder die Mitarbeiter des Heims in Frage.
Ich fuhr zurück, bot mich als Vorleserin an, um überhaupt Zugang zu den Menschen dort zu bekommen. Oma sei bei meiner Schwester gut untergebracht, erklärte ich, und dass es mir ein besonderes Anliegen sei, den alten Menschen gerade jetzt, so kurz vor dem Fest, eine Freude zu machen.
Die Pfleger waren sehr angetan.
Insgeheim jedoch war mir nach allem, aber nicht danach, meine vier Nachmittage vor dem Fest in den Ausdünstungen aus Schweiß und Urin zu verbringen und mir das eintönige Geschwätz der alten Leute anzuhören. Aber hatte ich eine Wahl? Irgendwer musste sich hier schließlich verdächtig machen. Irgendwer musste sich doch fragen, warum Oma Marthas Ableben nicht bekanntgemacht wurde. Der Täter würde wissen, dass sie nicht bei mir zu Besuch war, und demjenigen würde ebenfalls klar sein, dass ich wusste, was geschehen war. Das barg auch für mich eine große Gefahr. Vielleicht würde der Mörder versuchen, mich auszulöschen. Ich stellte mir vor, wie einer der Männer mit dem Krückstock hinter mir herwankte oder mir an der nächsten Ecke auflauerte, um mir damit eins über den Schädel zu ziehen. Vorerst sangen sie aber alle noch
Schneeflöckchen, Weißröckchen,
hoben und senkten die Hände, wackelten mit den Fingern, um das Schneetreiben zu symbolisieren. Dabei saßen sie friedlich vereint an ihren Tischen. Hin und wieder flößten ihnen die Pfleger einen Schluck Saft ein oder stopften ihnen ein Apfelstückchen in den frisch bezahnten Mund. Die Kerzen flackerten friedlich vor sich hin, nichts deutete auf das grausame Verbrechen hin, dem meine Oma zum Opfer gefallen war.
Nach dem Lied griff ich zu meiner kleinen Weihnachtsgeschichte, die ich selbst verfasst hatte. Die ersten schnarchten schon nach einer halben Seite, der Rest wurde unruhig, als ich bei der Krippenszene anlangte.
»Kann man nicht mal das Fenster aufmachen, es riecht hier so«, waren die Kommentare oder: »Rede mal lauter, man versteht ja nix.«
Ich gab wirklich alles, aber keiner der Herrschaften wollte meine Geschichte zu Ende hören. Das kränkte mich zutiefst.
Nachdem mein Vortrag leider nicht den erwarteten Anklang gefunden hatte, legten die Pfleger eine CD ein, und wir wurden von
Jingle Bells
beschallt. Ich lehnte mich zurück, betrachtete die verkniffenen Gesichter der Alten, denen man nun Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiele und Bälle in die Hand drückte, damit sie beschäftigt waren. Mein Blick schweifte nach draußen. Vor der großen Fensterfront hüpfte schon wieder die Krähe von vorhin auf und ab, klopfte mit dem Schnabel an die Scheibe, als wolle sie uns etwas sagen.
»Das ist die Weihnachtskrähe«, nuschelte die Frau neben mir. »Sie gehört Agnes.«
»Die Krähe
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