Maria, Mord und Mandelplätzchen
gehört Frau Lachmann?«
Der alte runzelige Kopf nickte. »Ja, die füttert sie. Seit dem 1 . Dezember. Das ist ihre Weihnachtskrähe, weil sie mit Beginn der Weihnachtszeit gekommen ist.« Die Alte griff mit ihren knochigen Fingern nach einem Apfelviertel und stimmte in
Jingle Bells
mit ein.
Weihnachtskrähe, dachte ich. So ein Blödsinn. Krähen waren keine Vögel, die man besaß, und sie kamen und gingen nicht mit irgendwelchen sentimentalen Festen.
Dann schossen mir ein paar Bemerkungen von Oma durch den Kopf. Dass ihre Nachbarin sich neuerdings einen Vogel zugelegt habe und sich wahnsinnig etwas darauf einbilde. Aber sie wolle ohnehin kein Tier, hatte Oma Martha weiter lamentiert.
Es musste sich um diese Krähe handeln. Ins Detail war Oma nicht gegangen. Oder ich hatte ihrem Geschwätz nicht genug Beachtung geschenkt.
Das Klopfen der Weihnachtskrähe ignorierte ich, schließlich gab es Wichtigeres zu tun.
Ich musterte das Pflegepersonal, das ruhig und besonnen seiner Arbeit nachging, hin und wieder mit den Alten scherzte. Sie wirkten alle unauffällig. Die Küchenhilfen schloss ich als Mörder aus, sie hatten nie viel mit Oma Martha zu tun gehabt.
Klar, sie hatte ständig am Essen gemäkelt, häufig behauptet, »der Fraß« sei mit Sicherheit vergiftet. Sie hatte sogar zwei Mal das Gesundheitsamt angerufen und behauptet, dass die Küchenhilfen den Bewohnern Hundefutter zu essen gegeben hatten. Aber deshalb bringt man ja niemanden um. Das wäre doch arg kleinlich.
Auch bei Pfleger Paul konnte ich kein wirkliches Motiv erkennen. Oma Martha hatte ihn wirklich nur ein einziges Mal angezeigt und behauptet, er habe sich ihr unsittlich genähert, und er war lediglich bis zur Aufklärung der Geschichte vom Dienst suspendiert gewesen. Gut, so richtig aufgeklärt ist das alles nicht, ein Restzweifel ist bis heute geblieben. Das hatte zwar zur Folge, dass Paul seit der Sache nicht mehr allein in die Zimmer der Frauen durfte, aber das war natürlich nur eine Vorsichtsmaßnahme, damit keiner weiter Gerüchte in die Welt setzte. Oma Martha hatte allerdings bis zu ihrem Ableben kein Wort mehr mit ihm gewechselt und bis zum Schluss behauptet, der Paul sei ein ganz Schlimmer und er stehe auf Brüste, auch wenn sie der Schwerkraft schon nach unten folgten. Ich hatte das nie so geglaubt, aber warum sollte ich einer alten Dame widersprechen, so ein Pfleger wird sich doch zu wehren wissen. Paul schied also auch aus, der Vorfall war eine Lappalie, ebenfalls kein Grund zu morden.
Ich verdächtigte also weiterhin einen der Bewohner. Diese Alten hatten doch größtenteils nicht mehr alle Tassen im Schrank, vielleicht wusste Oma Marthas Mörder schon gar nicht mehr, dass er sie auf dem Gewissen hatte. Zuzutrauen war den Typen hier ja alles. Wenn ich nur daran dachte, wie zum Beispiel Herr Wagner zum Essen sein Gebiss neben den Teller legte und es erst nach der Mahlzeit wieder einsetzte. Oder daran, wie sie sich beim Abendessen gegenseitig die Schnabeltassen klauten und um die Gunst des Pflegepersonals buhlten. Kaum einer der Bewohner war noch in der Lage, die Uhr richtig zu lesen, und doch schafften es alle, exakt zur vorgegebenen Zeit ihren Rollator-Fuhrpark vor der linken Fensterfront einzuparken.
Mal ganz ehrlich: Einer solchen Truppe traut man doch alles zu. Die brauchen gar kein Motiv.
Jetzt sangen sie
Alle Jahre wieder
in etwa zehn verschiedenen Oktaven. Das war mörderisch.
Mir drängte sich schließlich die Frage auf, wer von den Bewohnern körperlich noch in der Lage war, einen Menschen über die Balkonbrüstung zu stürzen.
Erneut taxierte ich die Umsitzenden. Herr Wagner war groß und kräftig, Frau Lachmann ebenfalls.
Dann gab es noch Herrn Fritz. Von dem wusste ich zumindest, dass er Oma Martha mal angebaggert hatte. Oder besser gesagt: »Ihr den Hof gemacht hatte.« Genau so hatte Oma Martha sich ausgedrückt. Angebaggert hatte Pfleger Paul sie, das war ein Unterschied.
Drei Menschen also in Oma Marthas Dunstkreis, die in Frage kamen.
Es half nichts, ich musste undercover im Heim bleiben und die mysteriösen Umstände aufklären, bevor jemand die Oma im Gewächshaus fand. Viel Zeit blieb da nicht, zum Heiligen Abend hatten sie Tauwetter angesagt. Oma würde zu riechen beginnen. Und zwar schlimmer als die Ausdünstungen, die hier jetzt mein Hirn benebelten.
Mir blieben vier Tage.
Unauffällig schob ich mich in Richtung von Herrn Fritz. Er nagte gerade an seinem Bananenstück, das er mit der Zunge im Mund
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